Teil-Legalisierung von Cannabis: Ende einer Verfolgungsjagd

Aktuelle Zahlen zeigen, dass jedes zweite Drogendelikt in Berlin ein Cannabisdelikt war, dazu fast immer im Bagatellbereich. Das ist nun Geschichte.

Das Bild zeigt eine Frau beim Kiffen

Wohl bekomms: Zum 1. April wird Cannabis entkriminalisiert Foto: Santiago Mazzarovich/dpa

BERLIN taz | Das Hanf ist frei, wenigstens halb frei, auch in der Kiffer-Hauptstadt: Am Freitagmittag hat der Bundesrat den Weg frei gemacht für das Gesetz zur Teil-Legalisierung von Cannabis. Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für CDU) warf sich zwar vor der Länderkammer noch einmal ins Zeug, um das Inkrafttreten zum 1. April zu verhindern. Allein, es half nichts.

Für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses, was das Gesetz verzögern, wenn nicht ganz zu Fall hätte bringen können, gab es keine Mehrheit. Und auch Berlin enthielt sich am Ende der Stimme, da im schwarz-roten Senat offenkundig bis zuletzt keine Einigung zu der von Badenberg präferierten Verzögerungsschleife Vermittlungsausschuss hergestellt werden konnte.

Überlastung der Polizei, Überlastung der Justiz: Im Vorfeld der Entscheidung im Bundesrat mangelte es nicht an Klagen, was auf Berlins Strafverfolgungsbehörden und Gerichte im Fall der Cannabis-Legalisierung zukommt. Dabei hatten Polizei und Justiz auch durch die bisherige Kriminalisierung alle Hände voll zu tun. Denn faktisch ist fast jedes zweite, in Berlin verfolgte Drogendelikt ein Cannabisdelikt.

In der Polizeistatistik sind dabei allein in den vergangenen beiden Jahren etwas mehr als 17.700 Delikte im Zusammenhang mit Cannabis wegen Abgabe, Besitz oder Handels erfasst. Das geht aus einer noch nicht veröffentlichten Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco hervor, die der taz vorliegt.

Drei von vier Verfahren wegen Kleinstmengen

Was die Zahlen vor allem zeigen: Über 90 Prozent der Verstöße betrafen Anzeigen aufgrund Abgabe, Besitz oder Handels von Cannabis in irrelevanten Mengen, wobei ganze 14.300 der 17.700 Anzeigen auf die Kategorie „allgemeine Verstöße“, also insbesondere den Privatkonsum entfielen.

Dass drei von vier Verfahren wegen Kleinstmengen geführt wurden, zeigt für Franco vor allem eines: „Dieser unnötige Aufwand war schlicht für die Mülltonne, da reihenweise Verfahren eingestellt wurden.“ Allen Beteiligten sei von Beginn an klar gewesen, dass geringfügige Besitzdelikte in Einstellungen münden, das sei in Berlin schon jetzt bei zwei Dritteln aller Drogenverfahren der Fall. Künftig wird man sich das zumindest bei Cannabis schenken können.

„Ich bin mir sicher, dass Polizei und Staatsanwaltschaft schon bislang Besseres zu tun hatten, als unnötig Papier für den Aktenschrank zu produzieren“, sagt Franco. Der drogenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion geht dann auch davon aus, dass die nun beschlossene Teil-Legalisierung die Berliner Strafverfolgungsbehörden um rund 5.000 Verfahren pro Jahr entlasten wird.

Oder auch nicht. Das zumindest fürchten Polizei und Justiz. Anders als Grüne und Linke warnen sie seit Wochen vor der erwarteten Mehrbelastung durch das Gesetz. Nicht zuletzt die Kontrolle der vorgesehenen Kiff-Verbotszonen sei kaum zu bewerkstelligen, kritisierte etwa Polizeipräsidentin Barbara Slowik.

Unübersichtlichkeit durch tausende Kiff-Verbotszonen

Ein nicht ganz von der Hand zu weisendes Argument: In einem Radius von bis zu 100 Metern um Kitas und Schulen bleibt Abgabe, Besitz oder Handel von Cannabis weiterhin illegal – und in Berlin gibt es nun einmal rund 3.000 Kitas und über 900 Schulen. Weder die Polizei noch die Kon­su­men­t:in­nen werden einen Überblick darüber haben, wo genau ein Joint gerollt werden darf und wo nicht, erklärte der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, gegenüber der taz.

Ähnlich argumentierte am Freitag im Bundesrat Justizsenatorin Felor Badenberg – wobei sie unterschlug, dass selbst Vergehen in Kiff-Verbotszonen ab 1. April nur noch als Ordnungswidrigkeiten und nicht mehr als Straftaten geahndet werden. Badenberg belastete das wenig. Sie gab sich weiter davon überzeugt, dass das Gesetz auch die Berliner Justiz lahmlegen werde.

Immerhin sehe das eine Amnestieregelung für Altfälle vor. Dadurch müssten bereits abgeurteilte Straftaten wegen Drogenbesitzes aufgearbeitet werden. Für die Justizbehörden offenbar eine kaum zu stemmende Herkulesaufgabe, denn, so Badenberg: „Es müssen alle relevanten Akten erst mal gesucht werden.“

Die Berliner Staatsanwaltschaft spricht von rund 3.500 Verfahren. „Das bedeutet, dass mehrere tausend Akten händisch überprüft werden müssen, falls jemand noch inhaftiert ist, muss er möglicherweise sofort entlassen werden“, skandalisierte Badenberg die Cannabis-Freigabe bereits am Mittwoch im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.

Scheinargumente der Justizsenatorin

„Was ist das denn für eine abstruse Argumentation?“, sagt Grünen-Politiker Vasili Franco zur taz. Natürlich müssten dann zu Unrecht Inhaftierte entlassen werden. Auch dass die Justizbehörden ihre Akten bislang nicht hinreichend digitalisiert hätten, sei alles andere als ein Grund gegen die Teil-Legalisierung.

Mögen sich alle aufregen, für ihn stehe auch mit Blick auf die von der Innenverwaltung vorgelegte Statistik zu den Drogendelikten eines im Vordergrund, so Franco: „Das Ende der Kriminalisierung und Stigmatisierung von Cannabis-Konsument:innen beendet eine jahrzehntelange ungerechte und ineffektive Praxis.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.