Theaterstück „Der staubige Regenbogen“: Wie ein riesiger Redebrei

In „Der staubige Regenbogen“ kritisierte Hans Henny Jahnn die Atomkraft. Eine neue Inszenierung in Mainz verzichtet auf jedes dystopische Potenzial.

Leandra Enders und Lisa Eder in gelben Ganzkörperanzügen in "Der staubige Regenbogen"

Leandra Enders und Lisa Eder in „Der staubige Regenbogen“ Foto: Andreas Etter

Ein Stöhnen geht durch den Raum. Es wird lauter, schneller, erinnert bereits an Hyperventilation. Dann öffnet sich der Vorhang im Staatstheater Mainz und zutage tritt eine seltsam organisch anmutende Szenerie aus rundlichen und schlauchartigen Formen, die sich im Laufe des Abends immer weiter aufblasen werden.

Wo sind wir? In einer Art Mondlandschaft? Oder haben wir es bei dem geschwulstartigen Etwas mit einem Herzen und seinen Adern zu tun? So oder so erweist sich die stetig wachsende Kulisse samt den immer wiederkehrenden Atemgeräuschen als bedrohlich. Sie erzeugt mehr und mehr eine mithin den Figuren jedweden Raum nehmende Enge.

Doch zu diesem Zeitpunkt ist schon nichts mehr zu retten. Wie der Frosch, der bekanntermaßen erst viel zu spät aus dem wärmer werdenden Wasser im Glas zu springen versucht, wähnen sich die Protagonisten in Hans Henny Jahnns letztem Theaterstück „Der staubige Regenbogen“ (auch: „Die Trümmer des Gewissens“) von 1959 allzu lange in einer unschuldigen Welt.

Einsatz im Krieg

Nachdem jedoch der Wissenschaftler Jacob Chervat (Andrea Quirbach) erfährt, dass seine Atomforschung inzwischen zu kriegerischen Zwecken eingesetzt werden soll, stellt sich eine Desillusionierung ein. Hinzu kommt eine persönliche Betroffenheit. Denn radioaktiv verseucht, bringt seine Frau (Max Kurth) ein geschädigtes Kind zur Welt, das, um es weiteren Experimenten zu entziehen, sogleich von ihr getötet wird.

Widerstand formiert sich derweil in der jungen Generation. Sie steht für eine Ordnung der gleichwertigen Koexistenz von Mensch, Tier und Pflanzen. Doch kann eine Utopie in dieser frühapokalyptischen Gegenwart überhaupt noch Gehör finden?

Eigentlich birgt dieses Werk sämtliche Potenziale für ein bildstarkes Bühnenfest samt schauspielerischer Volten und eine Menge ingeniöser Schlüsselsätze. Eigentlich gibt die radikale Kritik an einem selbstzerstörerischen ­Hyperfortschritt aus der Feder eines der Anti-Atom-Aktivisten der ersten Stunde unzählige Anknüpfungsmöglichkeiten an unsere gegenwärtige Angst vor einer nuklearen Eskalation her.

Mensch als Krone der Schöpfung?

Und eigentlich ließe sich viel aus der Epoche des Posthumanismus machen, die Jahnn, der 1894 in Hamburg geborene Außenseiter der deutschsprachigen Literatur, mit seiner Infragestellung des Menschen als Krone der Schöpfung luzide vorwegnahm.

Am Staatstheater Mainz nutzt man diese Anlagen allerdings nicht. Statt die Handlung spannungsdramaturgisch zu entfalten, entscheidet sich die Regisseurin Rieke Süßkow für ein Nebeneinander der Szenen. Man wolle, so die Regisseurin im Programmheft, eine lineare Erzählung vermeiden, die immer Spuren des Patriarchats trüge. Aha, okay. Was gut klingt, erzeugt auf dem Parkett ein veritables Chaos.

Ein Licht blinkt auf, Klänge von einem Cembalo oder einem Glockenspiel ertönen und Figuren mit steifen Bewegungen und teils expressionistischen Visagen, wie sie einem Fritz-Lang-Film entspringen, reden über Haarausfall, Geburten, Risikotechnologien, das Ende der Menschheit sowie Liebe und Lust. Alles irgendwie gleichzeitig, alles wie ein riesiger Redebrei ohne Akzent oder ein Moment des Aufhorchens.

Verschenkte Drastik

Das Pathos des Textes: verschenkt, seine Drastik: reduziert auf ein distanziertes Spiel der Darstellerinnen und Darsteller. Entstanden ist ein zähes Szenen- und Texttableau, wo doch eigentlich existenzielle Krisen und Abgründe, kurzum: die gesamte dystopische Energie unser aller Mark erschüttern könnte.

Während die Regie also unglücklicherweise versucht, ein emotionales Drama ins Korsett des zeitgenössischen Diskurstheaters zu verfrachten, geht die einzige Bewegung des Abends von dem Bühnenbild aus. Gleich einem Geschwür baut es sich auf und zeugt von den Folgen der prometheischen Hybris, die Natur beherrschen zu wollen.

Als die Figuren im letzten Teil dann doch noch kurzzeitig dynamische Züge offenbaren und sich – trotz der negativen Zukunftsaussichten – ihrem Fortpflanzungsbegehren hingeben, ist das meiste schon verloren. Gelb angeleuchtet, hat die atomare Kontamination jede und jeden, die nunmehr in bloßen Körperanzügen übereinander herfallen, erfasst.

Klimawandel, die Letzte Generation, Putins Invasion – viele jener Debattenfetzen schwirren an diesem Abend durch die Luft, um sich sodann im nihilistischen Nowhere zu verflüchtigen. Gleichermaßen verpuffen schillernde Sätze wie „Ich bin durstig nach Hoffnung“ oder die kuriose Rede von der „hinkenden Erotik“. Gewahr werden wir einzig eines leeren Kosmos, so gefühlsarm und bizarr, dass selbst bei der monströsen Kulisse kaum mehr als ein fader Eindruck des Schauerlichen ­übrig bleibt.

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