Theaterstück „Hotel Utopia“: „Sprachkurse, Ebene 3“

Christiane Mudras „Hotel Utopia“ zeigt den Alltag Asylsuchender im Berliner Flughafen Tempelhof. Die Inszenierung ist teils überfrachtet.

Sechs Menschen halten ihren Pass hoch

Der Pass ist ein wichtiges Requisit

Überall klingelt und gongt es. In dem riesigen Treppenhaus des THF Towers am alten Flughafengebäude in Berlin-Tempelhof laufen Menschen auf und ab. Durchsagen tönen: „Sprachkurse, Ebene 3“. Dazwischen Zahra, 30 Jahre alt, aus Afghanistan geflohen.

In der Erstaufnahmeeinrichtung drückt man ihr ein Handtuch entgegen. „Wo Sie hier schlafen, ist mir eigentlich egal“, sagt ihr der Beamte, gespielt von Richard Manualpillai, unberührt und schickt sie eine Etage weiter.

In der interaktiven Theaterarbeit „Hotel Utopia“ wechselt das Publikum für einen Abend die Perspektive. Beim „Check-In“ wird je­de*r Teil­neh­me­r*in mit einem Pass und einer Nationalität ausgestattet, so auch die Autorin dieses Textes, mit jenem von Zahra Naseri.

Plötzlich befindet sie sich wie etwa 30 andere Menschen in den Transitzonen des internationalen Grenzsystems, mitten im Dickicht des Behördendschungels zwischen Jobcenter, Bamf, Erstaufnahmeeinrichtung, Botschaft, Integrationskurs und Ausländerbehörde. Anhand ihres afghanischen Passes (Pass-Index Nummer 93) wird sie dort vermessen, befragt und bewertet.

In der Schlange anstehen

Die 30-jährige Zahra, 1993 in Kabul geboren, reiht sich also ein in die Schlange vor dem Bamf – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – und wartet, während die Monate im Minutentakt verstreichen. Mit ihr warten an diesem Abend eine Person mit eritreischer, eine andere mit irakischer Staatsangehörigkeit. Ein ebenfalls wartender Besucher des Theaterstücks ist überwältigt von der Akkuratheit der Darstellung. Vor zwölf Jahren floh er selbst aus Afghanistan nach Deutschland: „Es war genauso. Wir haben tage- und monatelang gewartet.“

THF Towers am alten Flughafengebäude in Berlin-Tempelhof, weitere Vorstellungen: 1.–3. Dezember 2023, www.ballhausost.de

Im Bamf beantragt Zahra schließlich Asyl, welches man ihr nicht gewähren wird, auch wenn sie wohl kaum verstehen kann, was Sebastian Gerasch in der Rolle des Bamf-Beamten in Behördensprache herunterrattert, während er mit der EDV zu kämpfen hat. Sie wird weitergeschickt zum Sprachkurs, in dem ihr von dem vielsprachigen Ensemble Tamil, Arabisch, Türkisch und Hebräisch beigebracht wird. Danach Integrations­kurs „Leben in Deutschland“. Die Formulare beginnen sich in ihren Armen zu stapeln.

Nicht zum ersten Mal steht hinter Regisseurin Christiane Mudras investigativem Theater die Frage nach der De-facto-Bewertung von Menschen in einer „Wertegemeinschaft“. Wurde in der letzten ­Inszenierung „Selfie & Ich“ der Umgang mit psychischen Erkrankungen thematisiert, ist es in „Hotel Utopia“ nun die Auseinandersetzung mit dem Pass.

Die Auseinandersetzung mit dem Pass

„Dem edelsten Teil von einem Menschen“, wie Brecht in den frühen 1940ern schrieb. Immer basieren die Arbeiten dabei auf extensiver Recherche. Das zusammen mit dem immensen organisatorischen Aufwand, originellen Schauplätzen, technisch und zeitlich minutiös ausgearbeiteten Abläufen zeichnen die Inszenierungen Mudras aus.

Erfahrungsberichte von Geflüchteten und Migrant*innen, Gespräche mit Ex­per­t*in­nen und Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen werden verwebt mit Informationen zu Grenztechnologien und der historischen Entstehung von Pässen. Zwischendurch schlüpfen auch die Schau­spie­le­r*in­nen in ihren weinroten Uniformen hinter den Schreibtischen hervor, brechen mit ihren Rollen und kontextualisieren, erzählen von der Entstehung des preußischen Staatsangehörigkeitsrechts, dem sanguinischen Abstammungsrecht oder Kolonia­lis­mus.

Obwohl die schiere Menge an Informationen beeindruckt, wirkt die Inszenierung dadurch teils überfrachtet. Da vermitteln die eigens gemachten Erfahrungen des Publikums mit der bürokratischen Gewalt des Grenzregimes die Thematik viel deutlicher und direkter. Denn angesichts der zahllosen Formulare, der Beamtensprache und der unverständlichen Regelungen kann man der Ohnmacht und Überforderung gar nicht entkommen.

Einmal mehr verlangt Regisseurin Christiane Mudra ihrem Publikum einiges ab an diesem Abend in den Transiträumen des alten Flughafens. Ein Ort, der kaum besser passen könnte, um sich mit Grenzen, Bürokratie und Staatsangehörigkeit auseinanderzusetzen – und der Frage, was ein Pass und der Mensch dahinter wert ist.

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