Tiktok und „ Daily Telegraph“: Freier Markt nur, wenn es passt

Gerade im Mediengeschäft mischen sich auch erzkapitalistische Staaten gern in ihren geheiligten freien Markt ein. Ob das allerdings Sinn ergibt?

Ein Mann entnimmt aus einem Zeitungsständer eine Zeitung

Die britische Regierung stoppte den Verkauf des „Daily Telegraph“ nach Abu Dhabi Foto: Pond5 Images/imago

„Der Markt regelt alles“, lautet der Glaubenssatz des entwickelten Kapitalismus. Oder wenn schon nicht der Markt, dann aber Google. Dass dies natürlich so nicht stimmt, lässt sich tröstlicherweise an der einen oder anderen Einmischung erzkapitalistischer Staaten in ihren ach so geheiligten Markt ablesen. Ob die allerdings so viel Sinn ergeben, sei dahingestellt.

Da erlassen also die USA ein Gesetz, um Tiktok zu verbieten. Genauer gesagt soll die Social-Media-Plattform in den Vereinigten Staaten dem Einfluss des chinesischen Mutterkonzerns Bytedance entzogen werden. Bytedance muss die US-Aktivitäten von Tiktok innerhalb von 270 Tagen entweder an ein US-Unternehmen verkaufen oder es ist Schluss.

Die Uhr tickt, US-Präsident Joe Biden hat das Gesetz vor zwei Wochen unterschrieben und damit in Kraft gesetzt. Hintergrund sind Befürchtungen, dass China hier ungehindert Daten sammelt und mit seinen Algorithmen US-Hirne verwirrt. „Oder gar mehr Daten gesammelt hat als sie selbst und damit Marktführer ist“, sagt die Mitbewohnerin. „Wer die Daten hat, hat die Macht!“

Auch in Großbritannien, wo die auf ihren Markt so stolzen Konservativen regieren, dreht der Markt ein bisschen zu frei. Die konservative Zeitung Daily Telegraph stand bekanntlich zum Verkauf (taz berichtete). Und zunächst sah es so aus, als ob das Konsortium ­RedBird IMI im Einvernehmen mit der früheren Eigentümerfamilie Barclay zum Zuge käme.

Und frühere Einkaufstouren?

Da ­RedBird IMI aber von einem Fonds aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mitfinanziert wird, bei dem die dortige Herrscherfamilie involviert ist, platzte der Deal letzte Woche. Denn die Regierung hat ein Gesetz angekündigt, nachdem ausländische Staaten oder Personen keine Anteile an britischen Presseunternehmen erwerben dürfen. Hätten sie das bloß schon erlassen, als der Australier Rupert Murdoch in den 1980ern auf Einkaufstour ging!

Aber wäre da den Bri­t*in­nen wirklich was erspart geblieben? Denn schlimmer geht immer. In UK gehört jetzt der Rechtsaußen-Finanzinvestor Paul Marshall zu den aussichtsreichsten ­Kandidaten für eine Telegraph-Übernahme. Marshall finanziert schon den umstrittenen Nachrichtenkanal GB News. Der Sender ist das, was Julian ­Reichelts Nius gerne wäre, also eine Art Fox-News-Abklatsch mit großer Abteilung für Verschwö­rungs­schwurbel. „Also auch ein kapitalistischer Datenmoloch“, so die Mitbewohnerin.

Auch in den USA könnte die Sache mit dem Tiktok-Verbot nach hinten losgehen. Vielleicht greift ja die Trump-Organisation zu und koppelt Tiktok an die „True Social“-Plattform des großen Angeklagten. Der war als US-Präsident noch strengstens für ein Tiktok-Verbot und ist heute natürlich komplett dagegen. Gewonnen wäre dann nichts, wie in Großbritannien beim Daily Telegraph. Außer der Erkenntnis, dass Eingriffe in den freien (Medien-)Markt so eine Sache sind …

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2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"

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