Tödlicher Polizeieinsatz in Dortmund: Sechs Schüsse ohne Vorwarnung

Im Prozess um den von der Polizei in Dortmund getöteten Mouhamed Dramé räumen Beamte ein, dass ohne Vorwarnung geschossen wurde.

Die fünf angeklagten Polizeibeamtinnen und -beamten im Gerichtssaal des Landgerichts Dortmund, 19. Dezember

DORTMUND taz | Der von der Polizei am 8. August 2022 von der Polizei in der Dortmunder Jugendhilfeeinrichtung St. Antonius erschossene Mouhamed Dramé ist bei dem Einsatz offenbar nicht deutlich gewarnt worden – weder vor dem bevorstehenden Einsatz von Pfefferspray und Elektroschockpistolen, sogenannten „Tasern“, noch vor Schüssen aus einer Maschinenpistole. Das hat der am Einsatz beteiligte Polizeibeamte Hassan Abu R. am siebten Prozesstag am Mittwoch als Zeuge vor dem Landgericht Dortmund ausgesagt.

Bestätigt wurden damit Aussagen von zwei Zivilpolizisten, die bereits eine Woche zuvor als Zeugen befragt wurden – und sich ebenfalls nicht an entsprechende Androhungen erinnern konnten.

Der seit Dezember 2023 laufende Prozess soll klären, wer für den Tod des aus dem Senegal stammenden 16-jährigen Geflüchteten verantwortlich ist. Angeklagt sind fünf Po­li­zis­t:in­nen: der Maschinenpistolen-Schütze Fabian S. wegen Totschlags, drei seiner Kol­le­g:in­nen wegen gefährlicher Körperverletzung und ihr Einsatzleiter wegen Anstiftung dazu.

Schon heute macht das Gerichtsverfahren klar, wie hektisch und nervös die Be­am­t:in­nen damals auftraten, wie unprofessionell der Einsatz ablief. Schließlich galt Mouhamed Dramé als suizidgefährdet. Am Montagnachmittag des 22. August 2022 hockte er im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung in der migrantisch geprägten Dortmunder Nordstadt, richtete ein 15 bis 20 Zentimeter langes Küchenmesser gegen seinen eigenen Bauch. Auf Worte von Be­treue­r:in­nen reagierte er nicht. Per Telefonanruf bat der Leiter der Einrichtung die Polizei deshalb um 16.25 Uhr um Hilfe.

Sechs Schüsse aus der Maschinenpistole

Doch nur 22 Minuten nach Beginn dieses telefonischen Notrufs, um 16.47 Uhr, feuerte der Polizist Fabian S. sechs Schüsse mit einer Maschinenpistole vom Typ Heckler & Koch MP5, von denen die nordrhein-westfälische Polizei in jedem Streifenwagen zwei Stück mitführt, auf den Jugendlichen ab. Er traf Mouhamed Dramé im Gesicht, am Hals, in Schulter, Arm und Bauch. Der 16-Jährige starb kurz darauf in einem nahegelegenen Krankenhaus.

Auslöser der Schüsse war offenbar der massive Einsatz von Pfefferspray unmittelbar zuvor. Der sei erfolgt, damit Mouhamed Dramé „an seine Augen greift und dabei das Messer loslässt“, sagte der Beamte Hassan Abu R. als Zeuge. Direkt danach sei Dramé schnell nach rechts in Richtung der Po­li­zis­t:in­nen gelaufen – also in die einzige Richtung, die ihm zur Flucht vor dem Reizgas blieb: Der 16-Jährige stand auf dem Gelände der Jugendhilfeeinrichtung in einer Art Sackgasse. Hinter und links neben ihm waren Gebäudemauern, vor ihm ein hoher Metallzaun.

Polizist verteidigt Schüsse

Die Po­li­zis­t:in­nen aber werteten die Bewegung als gefährlichen Angriff – schließlich soll Dramé das Küchenmesser noch immer in der Hand gehalten haben. Dabei verwiesen die als Zeugen gehörten Beamten immer wieder auf die sogenannte Sieben-Meter-Regel: Die besage, dass auf einen mit einem Messer bewaffneten Angreifer präventiv und aus Selbstschutz zu schießen ist, wenn dieser eine Distanz von sieben Metern unterschreitet.

Mit einem Zeitabstand von nur 0,7 Sekunden wurde Mouhamed Dramé deshalb mit zwei Tasern und der Maschinenpistole beschossen. Der Polizeibeamte Hassan Abu R. hält auch den Gebrauch der MP5 noch heute für richtig: „Hätte Herr S. nicht geschossen“, sagte er am Mittwoch vor dem Dortmunder Landgericht, „hätte ich geschossen“.

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