Tunesische Exilgemeinde in Berlin: "Die Tunesier sind friedlich"

Die in Berlin lebenden Tunesier erwarten viel vom Volksaufstand in ihrer Heimat, warnen aber auch vor Rückschlägen. Drei Stimmen aus der Exilgemeinde.

Hoffnungsvoll, aber verunsichert: Menschen In Tunis. Bild: dpa

Nicht für Brot demonstriert

"Seit dem Beginn der Unruhen in Tunesien telefoniere ich täglich sechs- bis achtmal mit Freunden und Familienangehörigen. Auf diese Weise und über das Internet habe ich die Revolution verfolgt. Dabei habe ich auf Bildern, die auf Facebook veröffentlicht wurden, fünf Bekannte erkannt, die von Ben Alis Leuten während der Proteste getötet wurden. Der Leiter eines Krankenhauses in meinem Heimatort erzählte mir, dass er laufend Totenscheine ausstellt. Das macht mich sehr traurig, zumal es auch Kinder unter den Opfern gibt.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, unter welchem Druck die Menschen in den letzten 23 Jahren gelebt haben. Obwohl ich seit meiner Studienzeit in Deutschland lebe, habe ich jedes Mal Angst, wenn ich nach Tunesien reise. Sogar in unseren Wohnungen haben wir aus Angst vor Spitzeln geflüstert, wenn es um ein annähernd politisches Thema ging. Die Menschen haben nicht für Brot demonstriert, sondern für ihre Freiheit. Sie wollen endlich die Freiheit, anders denken zu können."

Der Berliner Verein S.O.S. Tunesien hat in den letzten Tagen viele Spenden bekommen und damit unter anderem Medikamente gekauft, die nach Tunesien verschickt wurden, sagt Vereinsgründer Taha Sabri. S.O.S Tunesien macht Aufklärungsarbeit zu Menschenrechtsverletzungen in Tunesien.

Heute hält S.O.S. Tunesien ab 17 Uhr eine Mahnwache vor dem Brandenburger Tor für die während der Revolution ermordeten Menschen. In Berlin leben rund 1.000 Tunesier. (cin)

Faisal Salhi lebt seit 21 Jahren in Deutschland. Der Diplomingenieur für Elektrotechnik kam für sein Studium hierher und engagiert sich ehrenamtlich in dem Verein SOS Tunesien.

Angst vor Ben-Ali-Milizen

"Ich vergleiche die Jasmin-Revolution in Tunesien ein wenig mit der Bewegung in der DDR, weil sie vom Volk in die Wege geleitet wurde. Die Menschen in Tunesien hatten überhaupt kein Ventil. Aber genau diese Ohnmacht hat einen unheimlichen Druck erzeugt, der in letzter Konsequenz zu dieser Explosion geführt hat. Nur: Mit dem Sturz Ben Alis ist das Regime noch nicht besiegt. Ben Alis Leibgarde ist noch im Land und kämpft gegen das Volk und das Militär.

Außerdem müssen eine neue Verfassung und fähige Oppositionelle her. Egal ob aus dem kommunistischen oder dem islamischen Lager. Ich denke, dass überhaupt keine extremistische Strömung in der Bevölkerung Zustimmung finden wird, denn die Tunesier sind ein friedliches Volk. Vielmehr habe ich Angst vor der Zerschlagung der Revolution durch die Zusammenarbeit der im Lande übrig gebliebenen Ben-Ali-Milizen und den Geheimdiensten anderer Länder."

Taha Sabri, 45, lebt seit 23 Jahren in Deutschland. Heute ist er in Berlin geistlicher Vorstand der "Neuköllner Begegnungsstätte". Als Student wurde er für einige Monate inhaftiert, will jetzt aber im Falle einer Generalamnestie wieder nach Tunesien reisen.

Warnung vor Opportunisten

"Meine Familienangehörigen in Tunesien leben in einem Vorort von Tunis in der Nähe des Präsidentenpalastes. Sie müssen sich noch vor den anhaltenden Schießereien in Acht nehmen und sind auch von den Lebensmittelengpässen betroffen. Aber zum Glück ist kein unmittelbarer Schaden entstanden.

Von dem Volksaufstand verspreche ich mir eine ganze Menge. Diese Revolution hat es geschafft, eines der schlimmsten Regime der Welt zu beseitigen, und es wird eine zweite Republik im Sinne einer neuen Verfassung und neuer Gesetze ausgerufen werden. In den Prozess will ich mich nicht einmischen, weil ich keine politischen Ambitionen hege. Ich schätze, dass viele Menschen nur zurückkehren werden, weil sie ein Stück des Kuchens ergattern wollen. Auf dem Weg zu einem Präsidenten- oder Ministerposten kann die Einmischung in den aktuellen politischen Prozess ein Mittel zum Zweck vieler Opportunisten sein."

Hamadi El-Aouni, 65, lebt seit 40 Jahren in Deutschland. Er ist Dozent für Politik und Wirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht sowie der FU.

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