UN-Ruanda-Tribunal verschont Angeklagten: Félicien Kabuga bleibt straffrei

Das UN-Gericht erklärt den „Finanzier des Völkermordes“ an Ruandas Tutsi für verhandlungsunfähig. Kabuga rüstete Milizen auf und gründete ein Hetzradio.

Menschen in einem Gerichtssaal

Anwälte Felicien Kabugas zum Prozessbeginn 2022 vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Foto: Koen van Weel/ap

BERLIN taz | Jahrzehntelang wurde der ruandische Geschäftsmann Félicien Kabuga als „Finanzier des Völkermordes“ an den Tutsi 1994 international gesucht – nun, wo er endlich vor Gericht steht, bleibt er verschont. Das für die Abwicklung der noch offenen Prozesse des UN-Völkermordtribunals für Ruanda zuständige Gericht in Den Haag hat am Dienstag den Ruander, dessen Alter in unterschiedlichen Darstellungen mit 88 und 90 Jahren angegeben wird, für verhandlungsunfähig erklärt.

Der Prozess gegen Kabuga wird ausgesetzt, empfohlen wird „ein alternatives Feststellungsverfahren“, „das einem Gerichtsprozess so nahe wie möglich kommt, jedoch ohne die Möglichkeit einer Verurteilung“, so der Residualmechanismus IRMCT der abgewickelten UN-Tribunale für Ruanda und Exjugoslawien.

Félicien Kabuga war in Ruanda bis zum Völkermord 1994 der reichste Geschäftsmann, verschwägert mit Präsident Juvénal Habyarimana und Besitzer zahlreicher Unternehmen. Er gründete den Radiosender Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTLM), das wichtigste Instrument der Hetzpropaganda gegen Ruandas Tutsi im Vorlauf des Völkermordes sowie nach Beginn der planmäßigen Massaker ab dem Abend des 6. April 1994, die innerhalb der nächsten drei Monate über eine Million Tote forderten. Er besorgte auch die Importe großer Mengen von Macheten für die Völkermordmiliz „Interahamwe“, die zusammen mit der damaligen Armee Ruandas die Tutsi des Landes systematisch jagte und umbrachte.

Nach dem Zusammenbruch des für den Völkermord verantwortlichen Regimes im Juli 1994 war Kabuga wie fast alle Drahtzieher des Völkermordes flüchtig. Das 1995 gegründete UN-Völkermordtribunal für Ruanda stellte Haftbefehl gegen ihn aus, aber er blieb verschollen. Erst im Mai 2020 wurde er in Paris gefasst. Sein Prozess sollte der vermutlich letzte große internationale Ruanda-Völkermordprozess werden.

Prozess begann erst 2022

Daraus wird nun nichts. Schon gleich nach seiner Festnahme in Frankreich hatten seine Anwälte und Angehörigen Kabugas schlechten Gesundheitszustand geltend gemacht, um seine Überstellung an die UN-Justiz zu verhindern – vergeblich, aber das Prozedere kostete Zeit, in der Kabuga immer älter wurde. Erst am 29. September 2022 konnte der Prozess in Den Haag beginnen.

Vor Gericht hoben die UN-Ankläger hervor, dass Kabuga beim Völkermord nicht nur im Hintergrund tätig war. Am 7. April 1994, als die Interahamwe-Milizionäre koordiniert in Aktion traten, versammelten sie sich in einem von Kabugas Firmengebäuden in der ruandischen Hauptstadt Kigali und wurden von dort in Kabugas Fahrzeugen zum Einsatz gefahren, so die Anklage. Kabuga selbst sei anwesend gewesen.

Zeugenaussagen nannten später weitere De­tails: ­Ka­bu­ga habe Partys für die Interahamwe ausgerichtet, sie bezahlt und ihnen gesagt, es sei wichtig, dass sie „die Büsche beschneiden“ – ein Euphemismus für das Verstümmeln und Töten mit Macheten.

Kabuga blieb der Verhandlung fern und verfolgte den Prozess per Video aus der Haft im Rollstuhl. Er wurde sichtlich kränker und im Februar wurde die Verhandlungsdauer auf 90 Minuten pro Tag reduziert. Im März befand ein Ärztepanel, Kabuga sei „zu krank, um vor Gericht zu stehen“, und der Prozess wurde ausgesetzt.

Die weiteren Untersuchungen waren eindeutig. Ein Arzt, der Kabuga 2022 noch für fit erklärt hatte, diagnostizierte ihn nun als dement. Nicht nur könne der Angeklagte der Verhandlung nicht folgen, er könne auch seine Verteidiger nicht instruieren und keine Aussagen machen.

„Beteiligung an einem komplexen Verfahren erfordert als Minimum ein funktionierendes Gedächtnis“, analysierte das Gericht. Da das nicht der Fall sei, „ist Herr Kabuga nicht mehr in der Lage, an seinem Prozess sinnvoll teilzunehmen“.

Eine Einstellung des Verfahrens und Kabugas Freilassung, wie seine Verteidiger es wollen, komme aber nicht in Frage. Der Prozess soll weitergehen, Zeugen sollen weiter aussagen, aber Kabuga nimmt nicht teil und es wird am Ende kein Urteil geben.

In Ruanda stößt das auf Unverständnis. 1994 seien auch Alte und Kranke massakriert worden, lautet eine häufige Kritik in sozialen Netzwerken: Erst habe Kabuga sich der Justiz entzogen, dann habe er den Prozess verzögert und nun spiele er den Dementen, um seiner Strafe zu entgehen.

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