UN-Vollversammlung zu globalen Krisen: Guterres warnt vor „großem Bruch“

Bei der Vollversammlung wirft der Generalsekretär den UN-Mitgliedern Handlungs- und Kompromissunfähigkeit vor. Scholz will mehr Gewicht für Süden.

Wolodymyr Selenskyj und Antonio Guterres gucken durch einen Türspalt

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l) und UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstag in New York Foto: Mary Altaffer/ap

NEW YORK taz | Die ganze Welt schaut aktuell auf New York. Zu sehen bekommen die Menschen dort eine beunruhigende Wahrheit: Die Welt ist zerklüftet, sie ist multipolar; gleichzeitig werden die globalen Herausforderungen immer größer und immer zahlreicher. Ohne ein gemeinsames Handeln werden sich diese Probleme kaum bewältigen lassen und Institutionen wie die Vereinten Nationen werden mehr und mehr zum Teil des Problems als zu deren Lösung. So nahm auch UN-Generalsekretär António Guterres kein Blatt vor den Mund, als er am Dienstag die Staatschefs aus aller Welt in New York zur alljährlichen UN-Vollversammlung begrüßte.

Die Welt sehe sich existenziellen Herausforderungen gegenüber, erklärte Guterres und nannte den Klimawandel, Kriege oder Künstliche Intelligenz als Beispiele. Was fehle, sei der gemeinsame Mut zum Handeln. Worte allein reichten nicht mehr aus. „Unsere Welt wird immer weiter aus den Angeln gehoben. Geopolitische Spannungen werden größer. Globale Herausforderungen nehmen zu. Und wir sind allem Anschein nach nicht in der Lage, zusammenzukommen, um etwas dagegen zu unternehmen“, so der Portugiese.

Tatsächlich ist die Fragmentierung der Welt unübersehbar. Die USA und Westeuropa stellen einen, wenn auch nicht ganz homogenen, Pol dar. China einen anderen. Russland einen weiteren. Und die meisten anderen Länder versuchen, zwischen diesen und anderen globalen Polen zu navigieren und ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

„Kein Lösung ohne Dialog“

Ein Thema, bei dem dies deutlich wird, ist der Ukrainekrieg. US-Präsident Joe Biden appellierte in seiner Ansprache für eine geschlossene Unterstützung des angegriffenen Landes. „Russland glaubt, dass die Welt irgendwann müde werde und es keine Konsequenzen für seinen Angriff auf die Ukraine zu befürchten hätte“, erklärte Biden.

Sollte die Welt es tatsächlich zulassen, dass die Ukraine aufgeteilt werde, dann müsse sich jeder in Zukunft die Frage stellen, ob die Unabhängigkeit seines Landes wirklich sicher sei, so der US-Präsident. Biden erhielt für seine Rede zwar Beifall, doch nicht nur in den USA mehren sich die Stimmen, die sich für ein schnelles Ende des Krieges aussprechen und auch eine Abgabe von ukrainischen Gebieten an Russland in Kauf nehmen würden.

Staaten wie Brasilien oder Südafrika sprechen sich beispielsweise offen für Friedensverhandlungen aus. Beide Länder sind Teil der BRICS-Gruppe, der auch Russland und China angehören. Die BRICS-Staaten haben erst kürzlich bei ihrem Treffen in Südafrika beschlossen, im kommenden Jahr sechs neue Mitglieder aufzunehmen.

Die Vereinigung will eine echte Alternative zur westlichen Wirtschafts- und Geopolitik darstellen. Ein weiterer Pol also. „Wir unterschätzen nicht, wie schwierig es sein wird, Frieden zu erzielen. Doch keine Lösung wird von Dauer sein, wenn sie nicht auf Dialog beruht“, sagte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.

Scholz bringt Reform des Sicherheitsrates ins Spiel

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wiederholte hingegen, dass sein Land sich nicht auf einen Friedensplan einlassen werde, der nicht den vollständigen Abzug von russischen Truppen aus der Ukraine beinhaltet. „Die Ukraine versucht infolge des russischen Angriffs alles, um sicherzustellen, dass niemand in der Welt auch nur auf die Idee kommt, ein anderes Land anzugreifen“, sagte Selenski in seiner Rede.

Bundeskanzler Olaf Scholz, der erst um kurz nach 21 Uhr Ortszeit die Bühne betrat, sicherte der Regierung in Kyjiw die volle Unterstützung Deutschlands zu. „Russland ist für diesen Krieg verantwortlich. Und es ist Russlands Präsident, der ihn mit einem einzigen Befehl jederzeit beenden kann“, sagte Scholz.

Doch wie schon der UN-Generalsekretär bemängelte auch der Kanzler, dass die Vereinten Nationen über Reformen nachdenken müssten. „Nirgendwo ist das so augenfällig wie bei der Zusammensetzung des Sicherheitsrats“, so Scholz. Scholz beklagte, dass Afrika, Asien und Lateinamerika mehr Gewichtung verdient hätten.

Von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates war in diesem Jahr nur der US-Präsident bei der Vollversammlung vertreten. Die Staatschefs aus China, Frankreich, Großbritannien und Russland blieben dem Treffen fern. Auch die Abwesenheit dieser Veto-Mächte machte es schwierig, in den wichtigen Fragen über Klimaschutz und Entwicklungshilfe konkrete Pläne zu formulieren. Immerhin sind es die G20-Länder, darunter Deutschland, die USA und China, die für 80 Prozent der Treibhaus-Emissionen verantwortlich sind.

Ohne eine klare Handlungs- und Kompromissbereitschaft zwischen den Nationen seien die großen Probleme unserer Zeit, und dazu zählten neben Kriegen und der Klimakrise auch Armut und Hunger, nicht zu bewältigen, sagte Guterres. „Wir bewegen uns Stück für Stück in Richtung eines großen Bruchs in Sachen Wirtschaft, Finanzsysteme und Handelsbeziehungen“, erklärte der UN-Generalsekretär.

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