Über Biografien von Architekten: Schwuler Brutalismus

Ar­chi­tek­ten mussten einst ihre Homosexualität verbergen, um bauen zu können. Verstrickungen von Rollenbildern und Architektur zeigt ein Buch.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem modernen Wohnhaus an einem Berghang

Das Hangover House in Los Angeles entwarf Architekt William Alexander Levy für einen Geliebten Foto: (c) University of California Santa Barbara, Architecture and Design Collection

Bis 2011 galt im US-Militär die Praxis „Don’t ask, don’t tell“. Sexuelle Orientierung sollte weder Gegenstand eigener Berichte noch von Nachfragen sein. So erging es auch Wolfgang Voigt und Uwe Bresan, als sie 2009 zum Symposium „Queer Spaces“ einluden: für „Definitionen eines verdrängten Raumes“ wollte kein schwuler Architekt aufs Podium. Die angekündigte Ausstellung fiel leider aus. Jetzt liegt immerhin das Kompendium „Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ zweisprachig vor.

Dass die beiden Architekturhistoriker überhaupt solche einschlägigen Lebensläufe mit einer Geschichte des Bauens in Verbindung setzen, leiten sie aus der Aids-Krise der 1980er Jahre ab, als eine bis dahin verborgene Homosexualität plötzlich offen zutage trat. In den USA machte die allseitige Solidarität Schwule gesellschaftsfähig, auch eine Ikone modernen Bauens, Philip Johnson, bekannte sich medienwirksam.

Dass solche Outings in Deutschland ausbleiben, führen die Autoren auf fehlende Vorbilder zurück. An dieser Leerstelle setzen ihre Biografien schwuler Männer an, angefangen mit Ernst Georg Sonnin, der die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis entwarf. Der Barockbaumeister lebte über Jahrzehnte mit einem Jugendfreund zusammen, nach einem Zerwürfnis dann mit dem gemeinsamen „Zögling“, der später als Biograf freimütig berichtete, ohne aber die damals strafbewehrte Homosexualität anzusprechen.

Die Hamburger Stadtbauräte Fritz Schumacher und Gustav Oelsner, vor 100 Jahren verantwortlich für den sozialen Wohnungsbau der Hansestadt, übten sich laut Voigt in Enthaltsamkeit oder „strikter Unauffälligkeit.“ Helmut Hentrich, der 1957 das Düsseldorfer Drei-Scheiben-Hochhaus entwarf, schirmte sein Privatleben zuletzt in einem Schloss in den Niederlanden ab, wo Schwule schon lange straffrei leben konnten.

Wolfgang Voigt, Uwe Bresan (Hg.): „Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“. Deutsch/Englisch. Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin 2022, 304 Seiten, 39,80 Euro

Ein Exkurs gilt der trans Architektin Hildegard Schirmacher, die mit 73 Jahren im Lokalblatt annoncierte: „Es beginnt ein neuer Lebensabschnitt als Frau. Für Verstehen und entsprechende Anrede danke ich.“

Dass manch US-Architekturlehrer in den 1950ern aufgrund seiner Homosexualität die Karriere beenden musste, schildert Bresan. Etwa den Fall von Bruce Goff aus Oklahoma, der auf einen „Lockvogel“ der Polizei hereinfiel, deshalb von der Lokalpresse bloßgestellt wurde und seine Position als Chairman der Architekturfakultät verlor. Oklahoma verließ er für immer, die akademische Karriere war ruiniert, aber seine extravagante Architektur konnte er für private Bauherren weiterhin realisieren.

Bar aller räumlichen Konventionen familiären Lebens

Vom renommierten Zürcher Architekten Alfred Roth wusste kaum jemand, dass er 1927 wegen „sexuellen Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts“ vor der deutschen Polizei flüchten musste. Dem Enthüllen der sexuellen Orientierung stehe, so das Argument bis heute, die konservative Bauherrschaft entgegen.

Schlug sich das Leben schwuler Architekten in ihren Wohnungen nieder? Das Sujet ist nicht erforscht, wie Voigt bedauernd feststellt. Alfred Roth hatte eine Art Mehrgenerationenhaus entworfen, mit Wohnung und Atelier in einer Etage und Zimmern für Architekturstudenten in der anderen. Philip Johnsons Anwesen in New Canaan mit gläsernem Wohnraum, fensterlosem Schlafzimmer und dem Miniaturpavillon auf einem Teich ist bar aller räumlichen Konventionen familiären Lebens.

Wie das Apartment von Paul Rudolph, einem Apologeten des Brutalismus: Die Familie, die nach seinem Tod darin einzog, verklebte wegen ihrer Kinder die durchsichtigen Böden, sicherte die offenen Treppen und Galerien mit Netzen und entfernte die gläserne Badewanne. Die inzwischen originalgetreu wiederhergestellte Wohnung war allein der gesellschaftlichen Welt eines erfolgreichen schwulen Mannes gewidmet gewesen. Mit einem, wie Bresan herausarbeitet, als „Bibliothek“ verbrämten Bereich, in dem der Lebensgefährte unterkam.

Dessen Person bleibt vollkommen unbelichtet, woran sich ein Manko des Buches festmacht: Die Biografien setzen sich aus Indizien zusammen, Recherchen aus dem sozialen Umfeld fehlen. Ebenso kommen die eigentlichen Bauwerke der dargestellten Architekten etwas zu kurz. Voigt und Bresan haben längst nicht alles ausgeschöpft. Doch sie haben die Grundlage zu weiteren Betrachtungen gelegt, die dann auch andere Lebenswelten umfassen können.

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