Über elf Jahre nach Fukushima: Japan will neue Meiler bauen

Als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine setzt die Regierung auf Atomkraft. Doch dieser Strategieschwenk ist nicht leicht.

Atomkraftwerk im Hintergrund, Wellen und Strand im Vordergrund.

Der Atomreaktor Kashiwazaki soll ausgebaut werden Foto: Kim Kyung-Hoon/reuters

TOKIO taz | Die japanische Regierung schlägt einen neuen Kurs in der Atompolitik ein. Über elf Jahre nach den Kernschmelzen im AKW Fukushima kündigte Premierminister Fumio Kishida an, Atomkraftwerke der nächsten Generation entwickeln und bauen zu wollen. „Atomkraft und erneuerbare Energien sind unerlässlich, um eine grüne Transformation voranzutreiben“, erklärte der 65-Jährige. „Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die globale Energielandschaft erheblich verändert.“

Daher müsse Japan „potenzielle Krisenszenarien“ der Zukunft berücksichtigen. Im Ministerium für Wirtschaft, Industrie und Handel (METI) liegen bereits Pläne für modernisierte Leichtwasser- sowie kleine modulare Reaktoren in der Schublade, die ab den 2030er Jahren in Betrieb gehen könnten.

Nach der Fukushima-Kata­strophe hatte die japanische Regierung auf den Bau neuer Meiler verzichtet und die Genehmigung für den Neustart von Atomkraftwerken der neu eingerichteten Atomaufsichtsbehörde NRA überlassen. Auch hier schwenkte Kishida nun um und rief dazu auf, bestehende, aber abgeschaltete Reaktoren wieder ans Netz anzuschließen. Bis zum Jahresende seien „konkrete Schlussfolgerungen“ nötig. METI-Minister Koichi Hagiuda hatte bereits im Juli verlangt, bis zum Winter vier AKWs neu zu starten.

Darüber hinaus sollen laut der Wirtschaftszeitung Nikkei ab Sommer 2023 sieben weitere Atommeiler hochfahren. Dadurch würde die Zahl der betriebsbereiten Atomkraftwerke seit dem Fukushima-Unfall auf 17 von 33 verbliebenen Reaktoren steigen. Laut dem Nikkei-Bericht erwägt die Regierung von Kishida auch, die Laufzeit der Reaktoren über 60 Jahre hinaus zu verlängern. Derzeit ist die Betriebsdauer auf 40 Jahre begrenzt und darf nur im Ausnahmefall auf 60 Jahre steigen.

Stimmungswechsel in der Bevölkerung

Der Kurswechsel hängt auch damit zusammen, dass Japan sich im Vorjahr nach langem Zögern verpflichtet hat, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Dafür soll der Ausstoß an Treibhausgasen in einem ersten Schritt bis 2030 um 46 Prozent im Vergleich zu 2013 sinken.

Der erzeugte Strom soll 2030 zu 36 bis 38 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen, ein doppelt so hoher Anteil wie vor der Pandemie. Die Atommeiler sollen dann 20 bis 22 Prozent des Stroms liefern. Dieses Ziel halten Experten für utopisch, denn dafür müssten 27 bis 30 Atomkraftwerke laufen. Derzeit sind aber nur 5 Meiler in Betrieb. Im vergangenen Jahr lieferte die Kernspaltung nur knapp 6 Prozent des Stroms.

Der konservative Premier reagiert auf einen Stimmungswechsel in der Bevölkerung. Japan leidet unter stark gestiegenen Öl- und Gaspreisen, da das Inselland stark vom Import fossiler Brennstoffe für die Strom- und Industrieproduktion abhängig ist. Vor diesem Hintergrund sprach sich Umfragen zufolge erstmals seit 2011 wieder eine Mehrheit der Japaner für die weitere Nutzung der Atomkraft aus.

Zugleich zielt Kishida auf einen Wechsel in der Führung der Atomaufsicht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Toyoshi Fuketa ist der designierte NRA-Chairman Shinsuke Yamanaka, der im September übernimmt, kein studierter Nuklearingenieur und gilt als Kritiker der Laufzeitbegrenzung auf 40 Jahre.

Viele Betriebsgenehmigungen fehlen

Dennoch kann die japanische Regierung die Neustarts nicht direkt beeinflussen. Bisher hat die NRA erst 17 Reaktoren eine neue Betriebsgenehmigung erteilt, nachdem sie die verschärften Sicherheitsauflagen gegen Erdbeben und Tsunami erfüllt hatten. Nur zehn davon wurden bisher angefahren. Denn ungeachtet der Genehmigung blockieren lokale und regionale Politiker sowie atomkritische Anwälte eine Inbetriebnahme, weil die An­wohner dem Betreiber misstrauen und um ihre Sicherheit fürchten.

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