Übergriffe auf linke Ak­ti­vis­t*in­nen: Mölln auf der Kippe

Rechtsextreme drängen junge linke Ak­ti­vis­t*In­nen in Mölln in die Defensive. Am Samstag wollen sie öffentlich gegen die Zustände demonstrieren.

Zwei linke Aktivit*innen stehen vor einem See

Wollen gegen Rechtsextreme nicht klein beigeben: junge linke Ak­ti­vis­t*in­nen in Mölln Foto: Lars Hermes

HAMBURG taz | Es ist eine Gasse in der Altstadt von Mölln, die im Sommer besonders idyllisch wirkt: Bunte Blumen schmücken die Häuser in der Mühlenstraße, die kleinen Fachwerkhäuser erstrahlen in warmen Farben, über die gepflasterte Straße rattern die Reifen der vorbeifahrenden Fahrräder. Wer jedoch etwas aufmerksamer durch die Gasse spaziert, entdeckt an einer Hauswand eine Gedenktafel.

Wer noch genauer hinschaut, sieht daneben rechte Sticker kleben, deren Botschaften zu Hass gegen Aus­län­de­r*in­nen und Andersdenkenden aufrufen. Die Gedenktafel hingegen erinnert an die Folgen rechter Gesinnung: Auf dieses Haus gab es 1992 einen rassistischen Brandanschlag, drei Menschen starben.

Jährlich finden seither Gedenkveranstaltungen statt, die Tat hat sich bundesweit als Mahnung ins Gedächtnis gegraben. Und dennoch beklagen jugendliche linke Ak­ti­vis­t*in­nen nun, dass rechtsextreme Aktivitäten seit einiger Zeit wieder zunehmen und die jungen Ak­ti­vis­t*in­nen in die Defensive drängen.

Lena* ist eine der linken Möllner Aktivst*innen. Sie ist 21 Jahre alt und in Mölln aufgewachsen. „Rechte Sticker gab es hier schon immer, aber seit August letzten Jahres hat die rechte Gewalt zugenommen“, sagt sie. Sie sieht sich einer wachsenden Gefahr von Onlinehetze, Einschüchterungen bis hin zu körperlicher Gewalt ausgesetzt.

Rechte Tradition vor Ort

Die Möllner Ak­ti­vis­t*In­nen haben die Vorfälle rechter Gewalt in einer Liste gesammelt. Sie reicht von tätlichen Angriffen über zerschlagene Heckscheiben privater Pkws bis hin zur Brandstiftung an der örtlichen Moschee. „Die Brandstiftung an der Moschee im vergangenen September erhielt zwar mediale Aufmerksamkeit, war jedoch kein Einzelfall“, sagt Lena. „Es gab auch mehrere Angriffe auf Beratungsstellen, Hakenkreuzschmierereien und rassistische Übergriffe.“

Auf offener Straße seien Ak­ti­vis­t*in­nen wie Lena bedroht, bespuckt oder gar tätlich angegriffen worden. Das habe Folgen gehabt: Um der Bedrohung zu entkommen und weiterhin effektiv gegen die rechten Triebe vorgehen zu können, haben einige An­ti­fa­schis­t*In­nen begonnen, ihr Aussehen zu verändern. Sie haben ihre Frisuren geändert, Haare gefärbt und ihren Kleidungsstil gewechselt.

Der Landkreis Herzogtum Lauenburg ist schon lange ein Zentrum rechter Umtriebe, auch wenn das vor dem Hintergrund pittoresker Fassaden und verträumter Gassen selten sichtbar ist. Aber die rechtsextreme Gewalt hat in den letzten Jahren zugenommen, teilt der Verein Zebra mit. Er sammelt und dokumentiert rechte Vorfälle und veröffentlicht jedes Jahr ein landesweites Monitoring für Schleswig-Holstein.

„Menschen, die rassistische Gewalt erlebt haben, stellen die größte betroffene Gruppe dar, gefolgt von politischen Geg­ne­r*in­nen wie antifaschistischen Aktivist*innen“, sagt Felix Fischer, der bei Zebra rechte Übergriffe auswertet.

AfD- und NPD-Verbindungen

Die beiden Verantwortlichen für den Brandanschlag von 1992 wurden der Skinhead-Szene zugeordnet. Auch später sind im Herzogtum Lauenburg Nazi-Schlägerbanden immer wieder präsent. Rechte Strukturen formierten sich immer wieder neu. Gruppen wie die „Nationale Offensive“, die „Koberger Jungs“, „Ost-Block Brotherhood“ oder das „Aktionsbündnis Lübeck-Stormarn“ haben lange Zeit eine Atmosphäre der Angst im Herzogtum Lauenburg verbreitet.

Neonazis, die Verbindungen zu den genannten Gruppierungen hatten, sind heute aktiv. So etwa Leif Kulina, der heute Landesvorsitzender der „Jungen Alternative Schleswig-Holstein“ ist. In der Vergangenheit posierte er hinter Reichsfahnen zusammen mit Mitgliedern der NPD.

Kulina und Dominic Rösch, führendes Mitglied der „Jungen Nationalisten“ in Schleswig-Holstein, sagen Ak­ti­vis­t*in­nen eine Schuld an den auftreibenden rechten Trieben in Mölln nach. Rösch versuche junge Menschen an die NPD zu binden. Und obwohl die NPD im Herzogtum Lauenburg 2016 in die Brüche ging, gebe es durch verschiedene Akteure immer wieder Versuche, Untergrund-Jugendbewegungen ins Leben zu rufen.

Auch Mattheo*, der gemeinsam mit Lena in einer linken Jugendgruppe ist, hat sein Aussehen gewechselt: „Früher haben wir oft Kleidung mit politischen Statements getragen, aber das machen wir jetzt nicht mehr“, sagt er. „Zu oft haben wir dafür auf die Fresse bekommen.“ Lena, eine unscheinbar wirkende Person, erzählt, dass sie früher gern bunte Haare getragen habe, dies für sie aber heute nicht mehr möglich sei. „Man wird zu leicht erkannt. Wenn eine Person dich erkennt, kennen dich alle. Man passt einfach auf, wie und vor allem wann man auf die Straße geht. Oft fühlt es sich so an, als müssten wir uns verstecken.“

Bürgermeister ist besorgt

Noch hat die rechte Szene in Mölln nicht wieder die volle Kontrolle auf der Straße übernommen. Ak­ti­vis­t*In­nen und Vereine setzen sich weiterhin für den antifaschistischen Protest ein. Am Samstag wollen sie mit einer Demonstration durch Mölln zeigen, dass sie sich nicht ohne Gegenwehr von den rechtsextremen Bestrebungen zurückdrängen lassen. Wie dieser Konflikt ausgeht, hängt allerdings auch von anderen Akteuren ab.

Bei den Gedenkveranstaltungen zum Brandanschlag zeigt die Stadt Präsenz und positioniert sich entschieden gegen rechte Tendenzen. Darüber hinaus unterstützt die Stadt Vereine, die sich aktiv für die Förderung demokratischer Werte in Schulen engagieren und Informationsarbeit leisten.

Auch Möllns Bürgermeister Ingo Schäper (parteilos) scheint zu spüren, dass die hübsche Kleinstadt-Idylle momentan zu bröckeln beginnt. „Man kann nicht ausschließen, dass es nach wie vor eine gewisse Untergrundbewegung gibt, von der die meisten Bürger nichts mitbekommen“, sagt er. „Auch ich habe schon Informationen erhalten, dass rechtsextreme Aktivitäten im Herzogtum Lauenburg stattfinden“, sagt Schäper. Dazu schweigen, um nicht an der Idylle zu kratzen, will er nicht.

Er fände er es richtig, dass Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit gegen Faschismus engagieren, auf die Vorkommnisse in der Region aufmerksam machen. Für die Demonstration am Samstag hofft er, dass sie friedlich und ohne rechte Gegenwehr verläuft.

*Namen geändert

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes hatten wir die Parteizugehörigkeit des Möllner Bürgermeisters falsch angegeben. Wir haben das korrigiert.

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