Ungarische Avantgarde in Berlin: Wiedersehen in der Metropole

Am Beginn der Moderne bereicherten Künst­le­r:in­nen aus Ungarn das Kunstleben in Berlin. Daran erinnert eine Ausstellung der Berlinischen Galerie.

Mit schwingenden Formen ist eine Kuh und drei menschliche Figuren gemalt

Ausschnitt aus Béla Kádár, „Die Kuh“, um 1917 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022 Foto: bpk/Stiftung Saarländischer Kulturbesitz

Was es zu entdecken gibt, ist vielfältig und wird nicht langweilig: Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Grafiken, Theaterentwürfe, Filme und Architekturzeichnungen. Die Stile sind abwechslungsreich und bieten eine Bandbreite an Farben, Tonalitäten und Formen. Jedes Werk spricht eine andere, eigene Sprache. Erzählt wird aus verschiedenen Blickwinkeln und Erfahrungen in den rund 200 Werken ungarischer Künst­le­r:in­nen aus der Zeit zwischen 1910 und 1933, die in der Ausstellung „Magyar Modern“ in der Berlinischen Galerie zu sehen sind.

Das Überraschende ist: Allesamt sind sie in Berlin entstanden oder wurden hier einst ausgestellt. Sehen und gesehen werden, kreiieren und verwirklichen: Für internationale Künst­le­r:in­nen sind das heutzutage Beweggründe nach Berlin zu kommen. Doch die Metropole als Austellungsbühne zu nutzen, um ein internationales Publikum zu erreichen, hat sich nicht erst in den letzten Jahren etabliert. Bereits vor dem ersten Weltkrieg kamen ungarische Kunstschaffende nach Berlin, um sichtbar zu werden.

Magyar Modern. Ungarische Kunst in Berlin 1910 – 1933. In der Berlinischen Galerie, Mi – Mo 10 – 18 Uhr, bis 6.2.23

Als 1919 in Ungarn die Revolution scheiterte und Künst­le­r:in­nen von nationalkonservativen Kräften vertrieben wurden, verschlug es sie in die Metropole an der Spree. Sie kamen mit eigenen Ideen nach Berlin und entdeckten einen Ort der kreativen Freiheit. Die Berliner Avantgarde wurde maßgeblich durch die ungarischen Künst­le­r:in­nen um neue und fortschrittliche Positionen bereichert.

Den Auftakt der Ausstellung bildet eine Reihe von eindringlichen Porträts. Die ernsten Gesichter in expressiven Farben ziehen die Blicke auf sich. Sie stammen von der Künstlergruppe „die Acht“, die als bedeutende ungarische Avantgardisten gelten. Ihre Malerei ist an den französischen Fauves geschult.

Herwarth Walden, Förderer der deutschen Avantgarde, erkannte in den 1920er Jahren als einer der Ersten das Potenzial und die Kreativität der Künstler. Als Besitzer der anerkannten Galerie „der Sturm“ in Berlin, bot er diese den ungarischen Künst­le­r:in­nen als Plattform für ihre Kunst. Für sie ergab sich damit die Chance, in das Sichtfeld des europaweiten Publikums zu rücken.

Szenen aus ländlichen Leben

Walden erweiterte sein Programm mit den Künstlern Béla Kádár und Hugó Scheiber, die Expressionismus und Futurismus verbanden. Von Hugó Scheiber ist das Gemälde „Feuerwerk im Lunapark“ in der aktuellen Ausstellung zu sehen. Es veranschaulicht das ausgelassene Treiben im ersten Vergnügungspark Deutschlands. In groben Konturen und expressionistischen Farben hielt der Künstler die damalige Stimmung der Be­su­che­r:in­nen fest.

Collage von einem weiten Platz mit Menschen, einem langen Gebäuderiegel und einem futuristischen Aufbau mit weitauskragenden Schriftbändern und Plakatwänden

Berlin inspirierte zu gewagten Formen: Lajos d'Ebneth, „Berlin Alexanderplatz“, 1927 Foto: Fundación d'Ebneth-Scholten

Das Werk „Sehnsucht“ von Béla Kádár hingegen zeigt eine Szene aus dem ländlichen Leben Ungarns und erweckt durch die Intensität der hell leuchtenden Farben im Zusammenspiel mit blumigen Ornamenten eine spielerische Leichtigkeit.

Peter László Péri, Sándor Bortnyik und László Moholy-Nagy, der einer der bekanntesten Künstler der Ausstellung ist, entwickelten dagegen mit ihrer radikalen Abstraktion den Konstruktivismus aktiv weiter.

Auch zu der Entfaltung von Film und (Presse-)Fotografie in den 1920er Jahre trugen ungarische Fotograf:innen, wie Éva Besnyȍ und Martin Munkácsi, wesentlich bei. Ausgestellt ist unter anderem die Fotografie „Strandbad Wannsee“ aus dem Jahr 1931 von Éva Besnyȍ: Zwei Personen auf dem Bauch liegend, sind eng ineinander verschlungen, sie haben den Arm auf dem Rücken der jeweils anderen Person abgelegt.

Die Gesichter sind zueinander gedreht und dicht beieinander gelegen. Die nackten Füße im Sand. Die abgelichtete Szene erscheint vertraut, zugleich klammernd. Sich der Nähe des anderen vergewissernd in unsicheren Zeiten. Neben dieser eindrücklichen Fotografie sind eine ganze Reihe weiterer schwarz-weiss Aufnahmen ausgestellt, die verschiedene Ausschnitte und Lebensgefühle in Berlin einfangen.

Noch bis heute prägt die damalige Arbeit ungarischer Architekten das Stadtbild von Berlin. Beispielsweise entstanden etliche Berliner Bühnen, wie die Volksbühne, das Hebbel-Theater oder das Renaissance- Theater, durch den Theaterarchitekten Oskar Kaufmann.

Letztlich wurde die Berliner Schaffensphase der ungarischen Künst­le­r:in­nen durch den Nationalsozialismus ausgebremst: Im letzten Raum der Ausstellung verdeutlichen zynische Karikaturen der Künst­le­r:in­nen ihre klare Ablehnung des NS-Regimes.

„Stahlhelm in häuslichem Gebrauch II“ von Jolán Szilágyi zeigt eine umfunktionierte Nudelmaschine. Hackenkreuze gehäuft in einem Stahlhelm werden durch die Maschine bewegt und zu Stahlketten verarbeitet. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers endete die Zeit der ungarischen Kunstschaffenden in der Metropole. Erneut wurden sie zur Emigration gezwungen.

Viele Namen der jungen Künst­le­r:in­nen von damals kennt heute in Berlin wohl kaum jemand. Sie gelten jedoch alle als „feste Größen der ungarischen Kunstgeschichte“. Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie, vermutet den kalten Krieg als wesentlichen Grund für die unzureichende Auseinandersetzung mit der osteuropäischen Moderne.

Umso vielversprechender und wichtiger ist es jetzt, in „magyar modern“ die Verbindung von damals neu aufleben zu lassen, sich in Erinnerung zu rufen und dort auch zu behalten.

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