Ungarische Oppositionelle im Gespräch: „Wir zählen auf die Zivilgesellschaft“

Die LMP will mit klarem Programm gegen Orbán antreten – aber ohne Koalitionsaussage. Bernadett Szél sitzt im Budapester Parlament und übt Kritik am System.

„Grün sein heißt nicht nur Naturschutz und Nachhaltigkeit“, findet Bernadett Szél. Bild: LMP

taz: Frau Szél, welche Linie wurde beim LMP-Parteitag Ende Januar beschlossen?

Bernadett Szél: Es ging um die Strategie für die Wahlen 2014. Wir haben uns festgelegt, keine Aktionseinheit mit anderen Parteien einzugehen und auch nicht am runden Tisch der Opposition teilzunehmen. Außerdem haben wir uns inhaltlich erweitert.

Warum diese Berührungsängste mit den anderen Parteien?

Die Mehrheit der Delegierten wollte keine formale Koalition. Aber wir haben keine abschließende Entscheidung getroffen. Denn die Statuten verlangen 70 Prozent Zustimmung. Die Mehrheit war aber geringer. Vier Millionen Wähler sind unentschlossen, für wen sie stimmen sollen. Wir glauben, dass viele von ihnen nicht für die Parteien der Vergangenheit stimmen werden, also Fidesz und MSZP. Deswegen setzen wir auf die Kooperation mit der Zivilgesellschaft. Die gab es bereits bei Demonstrationen.

Der LMP wird vorgeworfen, mit der faschistischen Jobbik eher zu kooperieren als mit der sozialdemokratischen MSZP.

Jobbik ist keine demokratische Partei! Es ist völlig ausgeschlossen, dass wir mit ihnen kooperieren. Etwas anderes ist technische Zusammenarbeit, wenn es darum geht, Attacken gegen die Demokratie zu stoppen. In Einzelfragen stimmen wir im Parlament gemeinsam gegen die Regierungsmehrheit.

ist Ökonomin mit einem Doktorat in Soziologie. Im Februar diesen Jahres rückte sie für die LMP auf ein frei gewordenes Mandat im Budapester Parlament nach. Zurzeit ist sie Sprecherin ihrer Partei.

Ist 4K!, die Bewegung für die 4. Republik, ein bevorzugter Partner Ihrer Partei?

Wir kooperieren bei Demonstrationen, haben aber kein spezielles Verhältnis zu ihr. Es ist eine neue Organisation, der es um die Republik geht. Sie ist viel kleiner als LMP. Wir sind eine grüne Partei und sitzen im Parlament. Deswegen sehen wir uns als Kanal für Botschaften der Zivilgesellschaft ans Parlament. Allerdings gibt es kaum mehr Spielraum für demokratische Oppositionsarbeit. Am 23. Dezember haben wir uns angekettet. Wir müssen aber mit allen Kräften kooperieren, die nicht vom Ballast der Vergangenheit belastet sind.

Viele Leute meinen, bei der LMP sind lauter nette Leute – aber die seien idealistisch, hätten keine Bodenhaftung und kein Wirtschaftskonzept. Stimmt das?

Wir haben ein Wirtschaftskonzept! Darin kritisieren wir das System an sich. Die Wirtschaft sollte nicht die Gesellschaft dominieren, sondern ihr dienen. Seit dem Regimewechsel dient die Wirtschaft nicht mehr dem sozialen Zusammenhalt. Wir verlangen gesellschaftliche Gerechtigkeit. Jedem das, was er braucht. Fidesz hat die Menschen am Boden der Gesellschaft schlecht behandelt. Bei der Entlastung der Schuldner von Fremdwährungskrediten profitieren nur die Reichen. Wer kein Geld hat, wird benachteiligt. Wir verlangen Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Ressourcenschutz. Ungarn hat ein Energieproblem. Das sollte auf lokaler Ebene gelöst werden: Viele Gemeinden könnten energieautark werden. Wenn jetzt ein neues AKW gebaut wird, behindert das nachhaltige Energiepolitik.

Wo wird die LMP 2014 stehen?

Hoffentlich in der Regierung. Wir zählen auf unsere Freunde aus der Zivilgesellschaft. Wir wollen in der Zukunft gestalten, denn unsere Alternative ist die stärkste von allen Parteien. Grün sein heißt nicht nur Naturschutz und Nachhaltigkeit.

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