Untersuchungsausschuss Bauskandal Spreedreieck: 20.000 Quadratmeter Sündenfall

Der Untersuchungsausschuss zum Spreedreieck nähert sich seinem Ende. Je länger die Befragungen dauern, desto deutlicher wird, dass auch SPD-Bausenatorin Junge-Reyer an dem Millionengrab mitgeschaufelt hat.

Das Objekt des Ärgers: Das Bürohaus (Mitte) auf dem Dreieck zwischen Spree, Friedrichstraße und Bahnhof Bild: taz

Jochen Esser sieht das Ganze nur noch satirisch, wie er sagt. Peter Kurth (CDU), der ehemalige Finanzsenator, ist in der Privatwirtschaft, sein Nachfolger Thilo Sarrazin (SPD) sorgt bei der Bundesbank für Unruhe, bliebe als letzte amtierende Verantwortliche für das Desaster am Spreedreieck SPD-Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer. Ob er deshalb ihren Rücktritt fordern soll? Der grüne Abgeordnete Esser gluckst vor Lachen: "Die geht doch sowieso bald in Rente, das lohnt nicht mehr."

Selten ist ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses politisch so folgenlos geblieben wie der zum Spreedreieck, dem skandalträchtigen Hochhaus nördlich des Bahnhofs Friedrichstraße. Auf 26,8 Millionen Euro beziffern Esser und seine Oppositionskollegen Florian Graf (CDU) und Klaus-Peter von Lüdeke (FDP) den Schaden für das Land Berlin. Für die Senatsfraktionen von SPD und Linken hingegen stand nicht der Schaden im Vordergrund, sondern die Schadensbegrenzung. "Und die hat", so das Linken-Ausschussmitglied Uwe Doering, "mehr oder minder geklappt."

Dass das Spreedreieck überhaupt zum Schadensfall wurde, geht auf das Jahr 2000 zurück. Der damalige CDU-Finanzsenator Peter Kurth verkaufte das Gelände für 17,2 Millionen Euro an den Hamburger Projektentwickler Harm Müller-Spreer. Dabei war zu diesem Zeitpunkt bereits klar gewesen, dass dem Land Berlin gar nicht das gesamte Grundstück gehörte - der 45 Quadratmeter große Bereich um einen S-Bahn-Ausgang herum gehörte dem Bund.

Der Investor rieb sich die Hände. Müller-Spreer drohte nach dem geplatzten Kaufvertrag mit Schadenersatzforderungen, und damit begann das Ringen um die Schadensbegrenzung. Mit dabei: Exfinanzsenator Thilo Sarrazin. Er gab den Mitgliedern des U-Ausschusses Ende Februar zu Protokoll, dass die "einzig sachlich vertretbare Lösung" darin bestanden habe, mit Müller-Spreer zu verhandeln und zu einem "Interessensausgleich" zu kommen. Der wurde schließlich 2004 gefunden: In einer Zusatzvereinbarung wurde der Kaufpreis auf 8,5 Millionen gesenkt, zudem durfte Müller-Spreer mit 17.500 Quadratmetern Nutzfläche höher bauen als geplant.

"Wir mussten aus dieser Situation raus", begründete Sarrazin im Ausschuss den Deal. "Das ist uns auch gelungen, wenn auch mit finanziellen Blessuren." Zu denen gehörte bald auch eine Entschädigungszahlung an einen anderen Grundstückseigentümer. Kurz nach dem Kompromiss zwischen Sarrazin und Müller-Spreer zogen die Eigentümer des gegenüberliegenden Melia-Hotels vor Gericht. Mit einem höheren Spreedreieck würden die Zimmer verschattet; zudem hätte man selbst gerne höher bauen wollen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht den Bebauungsplan 2007 für rechtswidrig erklärte, gab es den nächsten Ablasshandel. Berlin zahlte 4 Millionen Euro, der Hotelbesitzer zog den Einspruch zurück.

Eineinviertel Jahre hatte der Ausschuss bis zur Vernehmung Sarrazins getagt. Herausgekommen waren Fakten, die die Öffentlichkeit bis dahin weitgehend kannte. Im April aber gab es doch noch den von der Opposition erhofften Knaller. In der Ausschusssitzung vom 16 . April gab SPD-Bausenatorin Junge-Reyer zu, Müller-Spreer 3.000 Quadratmeter zusätzliche Nutzfläche eingeräumt zu haben - ohne Gegenleistung. Junge-Reyer begründete das "Geschenk", wie es die Opposition bald nannte, mit dem enormen Zeitdruck.

Den Ausschussmitgliedern, darunter auch der sichtbar überforderte Vorsitzende Andreas Köhler (SPD), erklärte Junge-Reyer: Anfang 2006 hatte der Investor einen überarbeiteten Entwurf bei ihrer Verwaltung eingereicht. Statt der vereinbarten 17.500 Quadratmeter waren plötzlich 20.500 Quadratmeter geplant - und Junge-Reyer nickte ab. "Es gab keine andere Möglichkeit, deshalb haben wir so entschieden, um Schaden vom Land Berlin abzuwenden." Offenbar fürchtete die Senatorin noch weitere Ansprüche von Müller-Spreer.

Für Florian Graf war damit das Fass übergelaufen. "In diesem Land haben schon Minister wegen unbedeutenderer Verfehlungen ihren Posten geräumt", forderte der CDU-Mann indirekt den Rücktritt der Bausenatorin. Noch unangenehmer für Junge-Reyer wurde es eine Woche später, als die ehemalige Grünen-Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, berichtete, wie Junge-Reyer mehrmals bei ihr anrief, um auf den Bezirk Druck auszuüben. Obwohl noch viele Fragen wie etwa Fluchtwege offen waren, wollte Junge-Reyer eine Baugenehmigung, erklärte Dubrau. "Dabei hat sie mir klargemacht, dass selbst eine Auflage rechtlich als Ablehnung gewertet werden könnte. Für eventuelle Schadenersatzforderungen müsste dann der Bezirk aufkommen."

Dubrau schüttelt noch heute den Kopf. "In meiner gesamten Amtszeit haben nur drei Senatsmitglieder bei mir angerufen: der ehemalige Bausenator Wolfgang Nagel, weil er keinen Verkehr am Brandenburger Tor wollte; Klaus Wowereit, der sich für eine Genehmigung für den Circus Roncalli am Gendarmenmarkt einsetzte; und schließlich Ingeborg Junge-Reyer wegen des Spreedreiecks."

A 100, steigende Mieten, Spreedreieck: Dass Junge-Reyer inzwischen zum Problemfall für den rot-roten Senat geworden ist, weiß auch Uwe Doering. Den Stab will er dennoch nicht über die Bausenatorin brechen. "Wir arbeiten im Ausschuss mit dem Wissen von heute und urteilen über Vorgänge aus der Vergangenheit", philosophiert er. "Ich kann doch niemanden verurteilen, wenn ich nicht weiß, ob ich damals nicht selbst so gehandelt hätte." Dennoch gibt es auch für ihn offene Fragen. "Warum Müller-Spreer die 3.000 Quadratmeter zusätzlich bekommen hat, ist immer noch im Dunkeln", sagt er. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. Bis Ende Juni tagt der Untersuchungsausschuss noch, im November soll der Abschlussbericht vorgestellt werden. Spätestens bis dann erhöht sich auch der Druck auf die Linke. Noch kann Doering den loyalen Koalitionspartner geben. Irgendwann aber wird aus der linken Koalitionspartei die linke Wahlkampfpartei. Dann muss auch Doering den Unterscheid zur SPD kenntlich machen.

Nicht erst nach dem Auftritt der Grünen-Exbaustadträtin Dubrau ist das Spreedreieck für die Grünen Wahlkampfmunition. "Es war doch so, dass damals alle Parteien außer uns den Senat geradezu drängten, Müller-Spreer in die Höhe bauen zu lassen", sagt der Grünen-Haushaltspolitiker Jochen Esser - und schert damit auch aus der Allianz der Oppositionsparteien aus. "Das gilt auch für die FDP und für die CDU."

So ist es gut möglich, dass im Abschlussbericht im November gleich drei Versionen stehen: die der Regierungsfraktionen, die der CDU und FDP und die der Grünen. Dass viele Berliner und Architekturkritiker im Spreedreieck nicht nur einen finanzpolitischen, sondern auch einen architektonischen Sündenfall sehen, wird die Angriffslust der Grünen nicht bremsen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat ihr Urteil schon gefällt: Sie nannte das Spreedreieck ein "bauästhetisches und städtebauliches Desaster."

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