Urbane Orte auf dem Land: An den Trommeln

Waschsalons sind die urbansten Orte, die man sich nur vorstellen kann, findet unser Autor. Selbst wenn sie irgendwo draußen im Speckgürtel stehen.

Offene Waschmaschinen

Ganz egal, wo die Maschinen stehen: Urbaner als hier wird's auch am Kotti nicht Foto: Sophia Kembowski/dpa

Irgendwo im Chaos meines Arbeitszimmers muss eine alte Zeichnung liegen, die ich mit sieben oder acht Jahren gemacht habe. Sie war eine Hausaufgabe in der Grundschule und sollte meine Sommerferien zeigen. Wer sich das Gekrakel anguckt, vermutet meist Bullaugen in den unförmigen Kullern – mehrere Reihen davon – und rät dann, dass ich diesen Urlaub wohl auf einem Kreuzfahrtschiff verbracht habe. Stimmt aber nicht.

Ich war mit meinen Eltern im großen Berlin, und die Kreise sind die Türklappen von Wäschetrocknern. Es war ein Waschsalon, der am nachdrücklichsten hängengeblieben ist, in dieser an Reizen vermutlich nicht ganz armen Großstadtwoche.

An dieser Faszination hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer sind Waschsalons mein Inbegriff von Urbanität; mehr als alberne Clubs, überteuerte Kaufhäuser und siffige Kiezecken. Umso überraschter war ich, neulich auch hier auf dem Dorf einen zu finden – und erleichtert noch dazu, weil unsere eigene Waschmaschine den Geist aufgegeben hatte und sich zu Hause bergeweise Klamotten und Bettwäsche stapelten.

Dieser Salon wirkt nicht nur in seiner ländlichen Umgebung kurios. Neben alten Automaten stehen noch ältere Telefonbücher im Regal, Zeitungen von vorvorheriger Woche liegen herum und zwischen untoten Pflanzen am Fenster schlummert ein sonderbares Großgerät, das eine Mangel sein könnte oder aber schwere Artillerie. Wirft man Münzgeld (nur das geht) ein, wird die Summe in „D-Mark“ angezeigt, und wer sich dann nicht beeilt, ist das Geld auch einfach los.

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Zu teuer für die Reichen

Obwohl die Salonwäsche 4,50 „Euro“ kostet, habe ich mir mit dem Kauf einer neuen Maschine Zeit gelassen. Von wegen Nachhaltigkeitsblabla hatte ich eh besondere Ansprüche, aber zur Wahrheit gehört auch, dass ich sehr gern mit den Fahrradtaschen voller Schmutzwäsche in diesen schrulligen Laden gefahren bin.

Vielleicht aus Sehnsucht nach der Stadt, der ich mich seit dem Umzug aufs Land selten so nah gefühlt habe – vielleicht aber auch aus hilf- und sinnloser Solidarität mit der übrigen Kundschaft. Denn natürlich leisten sich sonst nur Leute diese teuren Wäschen, die eben kein Geld haben, denen es an Platz in der Wohnung fehlt oder an den paar hundert Euro auf Schlag.

Ich habe recht viel mit Wohnungslosen zu tun, darunter einige Stamm­kun­d:in­nen von Waschsalons. Es ist wie mit dem Kochen: Ohne Herd und Kühlschrank ist Ernährung eine teure Angelegenheit. Wer auf der Straße gelegentlich warm essen oder eben mal einen frischen Schlüppi anziehen will, zahlt dafür ungefähr das Zehnfache halbwegs organisierter Haus­wirt­schaf­te­r:in­nen.

Und vielleicht liegt darin auch das eigentlich Urbane dieser Idee vom Waschsalon: Als unpraktische, aber irgendwie folgerichtige Idee, die kein Problem löst, aber manche handhabbar macht – die als Ausdruck von Elend erschrecken sollten und weggesprengt gehörten – und die mir stattdessen offenbar schon als reisendem Dorfkind kultig, modern und faszinierend erschienen. Großstadt eben.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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