Urteil des Verfassungsgerichtshofs: Zu viel politische Kumpelei bei ORF

Der Einfluss der Regierung auf die Leitungsgremien beim Österreichischen Rundfunk ist rechtswidrig. Nun muss umstrukturiert werden.

Der lächelnde Robert Ziegler steht an einem Pult, hinter ihm das Logo des ORF

Robert Ziegler, Ex-Chefredakteur des ORF, geriet wegen ÖVP-Nähe in Kritik Foto: Hubert Mican/picture alliance

WIEN taz | Der Österreichische Rundfunk (ORF) kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erst vor Kurzem hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) Mängel im ORF-Gesetz festgestellt. Eine Gebührenpflicht galt bisher nur für jene Haushalte, die über ein „betriebsbereites“ Radio- oder Fernsehgerät verfügen. Die Onlinenutzung war davon aber nicht abgedeckt. Ab Januar 2024 kommt nun die neue „Haushaltsabgabe“ für alle bis auf Geringverdiener. Der ORF wird damit 710 Millionen Euro aus Gebühren pro Jahr erhalten, rund 30 Millionen mehr als derzeit.

Nun aber braucht es die nächste Anpassung. Wie der VfGH entschied, übe die Regierung zu viel Einfluss auf die Bestellung der beiden ORF-Leitungsgremien aus. Neun der 35 Stiftungsräte werden laut aktuellem Modus direkt von der Regierung bestellt. Beim deutlich weniger wichtigen, aber stärker die Bevölkerung repräsentierenden Publikumsrat bestimmt 17 von 30 Räten wiederum direkt der Bundeskanzler.

Beides ist rechtswidrig, urteilte der VfGH. Er berief sich dabei einerseits auf das Rundfunk-Bundesgesetz von 1974, in dem die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks festgeschrieben ist. Anderseits auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention: Freiheit der Meinungsäußerung. Und zwar unter Berufung auf einen Präzedenzfall beim moldawischen Rundfunk TRM Anfang der 2000er, wo regierungsfreundlich berichtet werden musste. Schon hier stützte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf die Menschenrechtskonvention – mit Erfolg.

Tatsächlich gelten die ORF-Führungsetagen seit jeher als schwer politisiert. Im Zuge von Regierungswechseln wird oft auch der ORF „umgefärbt“. Am Anfang der aktuellen schwarz-grünen Regierung wurden Führungsjobs per geheim verhandeltem „Sideletter“, der später öffentlich wurde, vereinbart. Drei Direktorenjobs sollten demnach an die ÖVP, zwei an die Grünen gehen. Im Gegenzug haben sich die Grünen offenbar auf politische Tauschhandel mit dem deutlich größeren Koalitionspartner eingelassen.

Postenaufteilungen ist gängige Praxis

Auch unter früheren Regierungen, unter der ÖVP/FPÖ-Regierung sogar mit konkreten Namen, waren solche Postenaufteilungen offenbar gängige Praxis. Selbst wenn die ORF-Mitarbeiter ihre Unabhängigkeit betonen, landen die politischen Begehrlichkeiten mitunter auch in einzelnen Redaktionen. Unter Robert Ziegler etwa, dem Chefredakteur und späteren Direktor des Landesstudios Niederösterreich, habe eine „beispiellose Distanzlosigkeit zwischen Politik und Journalismus geherrscht“, wie eine ORF-Mitarbeiterin dem Spiegel sagte. Alle Landesdirektoren werden vom Stiftungsrat bestimmt.

Mitarbeitern zufolge wies Ziegler Redakteure an, Politiker anderer Parteien in Beiträgen nach hinten zu reihen oder diese nicht aktiv anzufragen. Ziegler habe auch bestimmt, dass über Termine der ÖVP-Landesregierung unabhängig von deren Inhalten berichtet werden sollte. Ziegler trat im Februar 2023 als Landesdirektor zurück, erhielt dann aber andernorts im Unternehmen eine Leitungsfunktion. Fehler- und Rücktrittskultur sieht anders aus.

Vorbild könnte Deutschland sein

Diese Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Nun hat die Bundesregierung bis Ende März 2025 Zeit, die verfassungswidrige Zusammensetzung der Gremien zu reparieren. Wie sie das tut, wird noch Gegenstand hitziger parteipolitischer Debatten werden. Vorbild könnte bei der Reparatur jedenfalls Deutschland sein. Hier entschied das Verfassungsgericht schon 2014, dass die politischen Parteien zu viel Einfluss auf die ZDF-Gremien haben. Entschieden wurde, dass Verwaltungs- und Fernsehrat künftig zu zwei Dritteln mit „staatsfernen Mitgliedern“ zu besetzen sei – was dann auch umgesetzt wurde.

Als jedenfalls positiv bewertet der österreichische Jurist Leonhard Dobusch, seit Jahren im Fernseh- bzw. Verwaltungsrat des ZDF, im Gespräch mit der taz den VfGH-Spruch. Für die nötige Gesetzesänderung wünscht er sich geheime Abstimmungen sowie eine nötige Zweidrittelmehrheit für wichtige Entscheidungen im Stiftungsrat. Ein Teil der Räte – bis zu einem Drittel – solle per Los besetzt werden. Insgesamt solle die ORF-Führung die Gesellschaft stärker widerspiegeln.

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