Vergebliche Suche nach etwas Harmlosen: Wir Zombies

Die Nachrichtenlage führt zu Sehnsucht nach etwas Harmlosen. Aber meine Freundin findet, dass selbst Nasebohren geeignet ist, im Untergang zu enden.

Ein Paar in Halloween-Verkleidung: Er mit Kunstblut bespritzt, sie mit Plastik-Messer im Hals.

Auf dem Weg zur Zombieapokalypse: Teil­neh­me­r*in­nen des Zombiewalks am 31.10.2022 in Essen Foto: dpa | Christoph Reichwein

„So viele Themen derzeit, worüber soll ich schreiben?“, frage ich in die Runde auf der Bistro-Terrasse.

„Wüsste ich auch nicht“, sagt die Freundin, „jedes Thema erzeugt mir gerade Überdruss: Ampel, Krieg, Ver.di, Inflation, Klima, künstliche Intelligenz, alles inflationär negativ.“

„Gibt ja noch andere Themen mit Tragweite.“

„Private Themen?“

„Was ist schon privat?“

„Das, worüber ich mit niemandem rede, nicht mal mit mir selbst.“

„Oder nur mit der Therapeutin.“

„Du bist in Therapie?“

„Seit Jahren!“

„Geht es dir nicht gut?“

„Doch, deswegen ja!“

„Wie geht es denn euch anderen so?“

„Beschissen, ich werde bald kaum noch Arbeit als Illustratorin haben wegen KI, Millionen Menschen könnten ihre Jobs dadurch verlieren, doch in der Politik ist es bizarr still um diese Tatsache.“

„Aber dann kommt vielleicht endlich das bedingungslose Grundeinkommen!“

„Wenn nicht, wird es sehr unruhig auf den Straßen werden.“

„Klingt dystopisch.“

„Es klingt nicht, es ist.“

„Nicht die Klimaschäden werden uns tilgen, Chat GPT wird das schneller erledigen.“

„Die von uns erschaffene Maschine expandiert und wird uns sukzessive alle ersetzen.“

„Also, ich habe gar nichts erschaffen, ich kann nicht mal häkeln.“

„KI ist so selbstgemacht wie der Klimawandel, da hast du sicher mitgemischt.“

„Der Mensch ist seiner natürlichen Beschaffenheit nach eben destruktiv.“

„Das liegt an Gier und Geltungsdrang, da hat die Evolution schlampig gesiebt.“

„Seht ihr, Apokalypse, egal, worüber man sich den Kopf zerbricht.“

„Beschäftigt euch irgendwas Harmloses?“

„Neulich im Halbschlaf begann ich darüber zu grübeln, ob das Popeln zu Unrecht einen so schlechten Ruf hat.“

„Inwiefern?“

„Na, es gibt doch erwiesene Vorteile der Eigenurin-Therapie, und wenn es gesund ist, die eigene Pisse zu vertilgen, wieso dann nicht auch den Rotz?“

„Fingernägel.“

„Ich hab mir als Kind Haare ausgerissen und verspeist, als meine Eltern sich jeden Tag angeschrien haben.“

„Sich selbst zu essen, spendet also Trost.“

„Ich glaub, ich war einfach hoch neurotisch, aber ja, hat irgendwie geholfen.“

„Das ist es, das Einzige, was noch hilft, ist die Selbstverdauung, so könnten wir dem Untergang des guten Klimas und Chat GPT zuvorkommen.“

„Indem wir uns selber aufessen!?“

„Wie eine wirr mutierte Zombievariante!“

„Eine sehr autonome Variante.“

„Zudem effektiv bei der Resteverwertung und Müllbeseitigung.“

„Zu guter Letzt bleiben nur noch volle Mägen, die überall auf der Welt herumliegen und zu Staub zerfallen! Das Klima erholt sich so sehr, dass sich neue fantastische und berauschend schöne Tier- und Pflanzenarten entwickeln.“

„Und nach viel, viel Evolution erblüht auch etwas neues Menschartiges, Vollkommenes, das alle Geschlechter in sich vereint, dass keinen Sex braucht, um sich fortzupflanzen.“

„Der totale Frieden!“

„Nach der Zombieapokalypse.“

„Das wahrhaftige Paradies steht natürlich am Ende und eben nicht am Anfang!“

„Aber wie kommen wir da jetzt noch mal hin?“

„Na, ganz einfach, durch Nichtstun und ­Nasebohren.“

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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