Versorgung Obdachloser in Berlin: Vom Arzt auf die Straße entlassen

Im Klinikum Friedrichshain berät ein erstes Arbeitstreffen, wie obdachlose Menschen besser versorgt werden können. Die Lage in der Hauptstadt ist dramatisch.

Eine obdachlose Person schläft auf der Straße.

Die einen gehen shoppen, ein Obdachloser versucht zu schlafen: Kurfürstendamm, Berlin Foto: Schoening/imago

BERLIN taz | Zwischen 2.000 und 10.000 Menschen leben nach Schätzungen von Verbänden in Berlin auf der Straße. Eine genaue Statistik gibt es nicht. Fachkräfte verschiedenster Professionen trafen sich am Mittwochabend im Vivantes Klinikum Friedrichshain (KFH) erstmals gemeinsam, um sich über die Versorgung dieser „besonders vulnerablen Gruppe“ auszutauschen. Die zentrale Frage: Gibt es genug Angebote für Obdachlose oder brauchen wir ein neues Netzwerk?

Benjamin Irmscher arbeitet als Oberarzt in der Zentralen Notaufnahme des KFH. Er berichtet von Sprachbarrieren, einer Lücke zwischen akuter und weitergehender Versorgung und Fehlern in der Behandlung.

Manche Obdachlose seien beispielsweise betrunken, könnten aber trotzdem erkrankt sein. „Die Gefahr, das zu übersehen, ist hoch“, sagt er. Manchmal stehe er mit Google-Übersetzer neben dem Krankenbett, sagt Irmscher. Diese Gespräche seien sehr begrenzend und würden die Behandlung erschweren. Mehr als die Hälfte der Patienten hätten zudem keine Krankenversicherung. Der Arzt wisse oft nicht, wohin er die Patienten nach erfolgter Behandlung schicken solle. In der Realität folge in den meisten Fällen die Entlassung auf die Straße: „Wir stehen vor großen Herausforderungen.“

In Mitte wurde 2002 das Gesundheitszentrum der Jenny-De-la-Torre-Stiftung gegründet. Dort werden auch Obdachlose aus den Krankenhäusern zur Nachbehandlung hingeschickt, etwa zur Wundversorgung. Ärztin De la Torre sagt: „Von denen kommen vielleicht 5 Prozent bei uns an.“ Sie habe schon versucht, beim Senat zu erwirken, dass die Obdachlosen personalisierte Fahrkarten erhalten, damit sie sich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt bewegen könnten – bisher ohne Erfolg. An dieser Stelle könnte eine Vernetzung helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern, sind sich die Mediziner einig.

Besonders dramatisch ist die Lage laut Diakon Ullrich Neugebauer in den Notunterkünften der Kältehilfe: „Wir sind kein Krankenhaus, kein Konsumraum, sondern eine Not­übernachtung, um vor dem Erfrierungstod zu bewahren. Trotzdem kommen zu uns schwerkranke Menschen.“ Die Übernachtungsangebote seien darauf nicht vorbereitet, die Ehrenamtler dafür nicht qualifiziert. Geholfen habe es den Obdachlosen, dass einige Einrichtungen während der Pandemie dauerhaft öffneten. Lakonisch kommentiert Neugebauer: „Wir hatten eine gute Zeit durch Corona. Uns ist es in einer 24/7-Unterkunft gelungen, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen.“

De la Torre bestätigt, dass viele Obdachlose Zeit bräuchten, um von der Straße zu kommen: „Für manche brauchen wir 15 Jahre, um sie von der Straße zu holen, manche schaffen es gar nicht.“ Der Arzt aus der Notaufnahme Benjamin Irmscher schlägt außerdem einen Sozialdienst, eine Koordinationsstelle zur Weiterversorgung und Dolmetscher vor. Auch die Perspektiven ehemaliger Obdachloser sollten besser genutzt werden, sagt ein weiterer Arzt. Das könne die Angst und das Misstrauen vor Einrichtungen dämpfen, und die Bereitschaft von Obdachlosen erhöhen, Hilfe anzunehmen.

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