Vor Wahlen in Griechenland: Comeback der Neonazis?

Mit einer Gesetzesreform will die Regierung Mitsotakis verhindern, dass Ilias Kasidiaris ins Parlament einzieht. Doch alle Linksparteien sind dagegen.

Portrait

Ilias Kasidiaris beim „Morgenröte“-Prozess im Oktober 2020 Foto: Petros Giannakouris/ap

ATHEN taz | Ilias Kasidiaris, stets grimmiger Blick, äußerlich ewiger Halbstarker und seit Oktober 2020 wegen der Leitung einer kriminellen Organisation hinter Gittern, redet sich in Rage. Auf seinem Youtube-Kanal mit 124.000 Abonnenten poltert er in einer am letzten Freitag aus dem Gefängnis im zentralgriechischen Domokos hochgeladenen Audiobotschaft: „Das wird mich nicht stoppen. Ihr werdet mich wählen können!“

Es geht dem Gründer der Partei Ellines (Griechen) um eine umstrittene Gesetzesänderung, die Kasidiaris auf Youtube einen „Putsch der Regierung in Athen“ nennt. Am Mittwoch legt die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis dem Athener Parlament diese Reform zur Abstimmung vor.

Wenn auch namentlich nicht erwähnt, zielt die Gesetzesänderung in erster Linie auf Kasidiaris’ Partei Ellines ab. Deren Antritt zur Parlamentswahl, die turnusgemäß bis spätestens Juli dieses Jahres stattfinden muss, will Mitsotakis verhindern. Denn dann könnte Ellines laut jüngsten Umfragen den Sprung über die Dreiprozenthürde schaffen, um so in die „Boule der Hellenen“ gewählt zu werden.

„Sie werden es nicht schaffen, mich aus dem nächsten Parlament auszuschließen“, ist sich Kasidiaris auf Youtube sicher. Per außergerichtlichen Schreiben werde er alle 300 Athener Abgeordnete vor einer Zustimmung zur „vielfach verfassungswidrigen“ Gesetzesänderung „warnen“, kündigte der 42-Jährige mit fester Stimme an.

Viele warnen vor dem Einzug der Ellines ins Parlament. Kasidiaris sei ein lupenreiner Neonazi, so ihr Argument. Die allermeisten Griechen würden das bestätigen.

Rechtsextreme Vergangenheit

Dass Kasidiaris zumindest einer war, wird er selbst kaum bestreiten können. Der studierte Agrarökonom schrieb schon früh in einschlägigen Blättern der berühmt-berüchtigten rechtsextremen Partei Goldene Mörgenröte (Chrysi Avgi/XA). Unverblümt leugnete er den Holocaust, verehrte Adolf Hitler, trainierte Parteimitglieder in Kampfsportarten, damit diese besser Jagd auf Migranten im Athener Zentrum machen konnten, besuchte Konzerte von Neonazi-Rockgruppen und zeigte sich vor der Reichskriegsfahne mit dem Hitlergruß. Obendrein ließ er sich das Hakenkreuz breit auf seine linke Schulter tätowieren, für ihn „ein uraltes und ewiges Symbol des Griechentums“.

Mit der rechtsextremen XA schaffte Kasidiaris bei den Wahlen 2012 und 2015 den Einzug ins griechische Parlament. Er avancierte zu einer ihrer führenden Köpfe. International wurde er bekannt, nachdem er im griechischen Fernsehen eine Politikerin der linken Syriza-Partei zunächst mit einem Glas Wasser bewarf und hernach eine kommunistische Abgeordnete ohrfeigte.

Kasidiaris’ Politkarriere schien aber nach einem Mammutverfahren vor einem Athener Gericht gegen ihn und weitere 68 Personen wegen der Bildung einer kriminellen Organisation vorbei zu sein. Es endete am 7. Oktober 2020 in erster Instanz. Gegenstand waren die Ermordung des linken Hip-Hop-Sängers Pavlos Fyssas und andere fremdenfeindliche Straftaten. Kasidiaris kassierte eine Haftstrafe von 13 Jahren und sechs Monaten und wanderte sofort in den Knast.

Im Mai 2020 hatte er die neue Partei Ellines gegründet. Zuvor hatte er sich mit dem ebenfalls in Haft sitzenden XA-Chef überworfen, als er in einem Positionspapier zur Neuausrichtung der XA vergeblich eine Abkehr vom Faschismus und Nazismus gefordert hatte, wie die linke Athener Tageszeitung Efsyn damals enthüllte.

Rechte Augenwischerei?

Kasidiaris bestreitet heute, dass seine Ellines eine Neonazi-Partei ist. Tatsächlich aber findet man in den zehn politischen Positionen in deren Satzung Standpunkte wie „die Bekämpfung der illegalen Migration“ – was sich aber auch die konservative Regierungspartei von Mitsotakis auf die Fahnen geschrieben hat – oder „die Verteidigung der griechischen Kultur und des christlich-orthodoxen Glaubens“.

Weiter heißt es aber auch: „Die Partei ‚Griechen‘ verurteilt unmissverständlich Gewalt, wo auch immer sie herkommt. Sie wendet sich gegen jede Form negativer Diskriminierung und Intoleranz und verteidigt mit Nachdruck die Menschenrechte. Sie setzt sich für den freien Verkehr von Ideen, die freie Meinungsäußerung und freie Entfaltung der Persönlichkeit in einer Gesellschaft ein, die die demokratischen Werte und die menschliche Freiheit achtet.“

Doch ist das alles nur Augenwischerei unverbesserlicher Nazis, die einen an der Nase herumführen wollen?

Fest steht: Der griechische Gesetzgeber setzt sehr hohe, in der Verfassung verankerte Hürden für die Nichtzulassung von Kandidaten und Parteien zu Wahlen. Demnach dürfe das Gesetz „die Wählbarkeit nicht einschränken, es sei denn, das Mindestalter des Kandidaten ist nicht erreicht, es liegt eine Wahlunfähigkeit oder unwiderrufliche (rechtskräftige, Anmerkung der Redaktion) strafrechtliche Verurteilung wegen bestimmter Straftaten vor“, wie dazu der Artikel 51 der griechischen Verfassung festschreibt.

Keine der drei Bedingungen liegen im Fall Kasidiaris vor. Im „Morgenröte“-Strafprozess hat Kasidiaris Berufung eingelegt, bis zum Urteil dürfte geraume Zeit verstreichen. Doch die Regierung Mitsotakis will nicht so lange warten. Das hat im Endspurt vor dem Urnengang vor allem wahltaktische Gründe.

Mitsotakis will mit seiner Nea Dimokratia (ND) erneut alleine in Athen regieren, wie er wiederholt klargestellt hat. Daher kann sich die ND keine zweite Rechtsaußenpartei im künftigen Parlament leisten. Insbesondere nachdem zuletzt die nationalkonservative Partei Griechische Lösung mit 4 Prozent den Sprung ins Parlament schaffte und ihr diesmal Chancen auf ein noch besseres Ergebnis eingeräumt werden.

Gegen die Hufeisen-Theorie

So hat sich Mitsotakis etwas einfallen lassen, um Kasidiaris und Co. zu stoppen. Künftig dürfe der Parteichef und Vorstand, aber auch „die wirkliche Führung“ einer Partei nicht „in irgendeiner Instanz“ (statt in letzter Instanz) wegen schwerer Straftaten verurteilt sein, um zur Wahl zugelassen zu werden, heißt es in der vorgelegten Gesetzesänderung.

Mit dem Passus „wirklicher Führung“ soll der Zulassung der Partei Ellines zusätzlich ein Riegel vorgeschoben werden, sollte der hinter Gittern schmorende Kasidiaris nicht selbst in führenden Parteiorganen vertreten sein oder zur Wahl antreten. Stattdessen könnte er unbescholtene Personen vorschicken.

Doch nicht nur Kasidiaris läuft gegen die Gesetzesänderung Sturm. Die drei linken Parlamentsparteien Syriza (Bündnis der radikalen Linken) unter Ex-Premier Alexis Tsipras, Mera25 unter Ex-Finanzminister Janis Varoufakis sowie die KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) wollen der Gesetzesänderung am Mittwoch im Parlament nicht zustimmen – obwohl sie allesamt rigorose Nazigegner sind. Sie befürchten, Mitsotakis wolle so der Hufeisentheorie, also der Gleichsetzung linker und rechtsextremer Parteien, durch die Hintertür den Weg ebnen. Ein Unding, wie sie betonen.

Was Kasidiaris angeht, sind sie sich wie das Gros der Griechen einig: „Einmal Nazi, immer Nazi.“ Über ihn sollten aber die Wähler entscheiden, nicht Gerichte.

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