Vorbereitung auf die Winterspiele 2022: Trügerische Idylle

In Yanqing ist für die Olympischen Spiele in China scheinbar alles bestens organisiert. Probleme gibt es aber nicht nur wegen eines Omikron-Ausbruchs.

Vogelperspektive auf die olympische Bobbahn in Yanqing

Schmuckstück: der „fliegende Schneedrache“, Chinas erste Bobbahn Foto: Thomas Peter/reuters

Wer die Olympischen Winterspiele innerhalb Chinas verfolgt, der meint manchmal, einem perfekt funktionierenden Schweizer Uhrwerk zuzuschauen: Alles läuft auf Spur, nichts kann die Pläne der Organisatoren durcheinanderbringen. Und nun hat auch Chinas mächtiger Staatschef Xi Jinping dem olympischen Großereignis seinen Segen gegeben: „Wir werden keine Mühen scheuen, der Welt großartige Spiele zu präsentieren. Die Welt richtet ihre Augen auf China, und China ist bereit“, sagte Xi bei seiner Neujahrsansprache im holzvertäfelten Arbeitszimmer.

Dabei wird wohl kaum ein anderes Sportereignis aus der jüngeren Geschichte kontroverser debattiert als die Olympischen Winterspiele in Peking. Während sie innerhalb der eigenen Landesgrenzen längst als endgültige Krönung einer aufstrebenden Weltmacht zelebriert werden, geht es im internationalen Diskurs vor allem um Chinas Menschenrechtsverbrechen und einen möglichen Boykott. Egal, wie man es dreht und wendet: Peking 2022 legt schonungslos die auseinanderklaffenden Gräben zwischen China und dem Westen offen.

Wer sich auf Spurensuche begibt, wird im Pekinger Diplo­matenviertel im Chaoyang-Bezirk fündig – eine Gegend, in der die Kontraste der chinesischen Hauptstadt frontal aufeinanderprallen: Prachtvolle Botschaftsvillen grenzen an eine stalinistische Militärkaserne, vor mediterranen Edelrestaurants marschieren Soldatenpatrouillen im Gleichschritt und aus praktisch jedem der großgewachsenen Ginkgobäume lugen unzählige Überwachungskameras hervor.

Nachdem die Smartphones vorm Botschaftseingang in einen Tresor weggesperrt wurden, redet ein hochrangiger europäischer Diplomat Klartext: „Die Sommerspiele 2008 waren rückblickend ein Höhepunkt für China, auch weil sie mit vielen Hoffnungen verbunden waren. Die Winterspiele hingegen werden ein absoluter Tiefpunkt sein“. Es habe sich die endgültige Gewissheit durchgesetzt, dass China unter Xi Jinping seinen nationalistischen Konfrontationskurs weiter fortsetzen wird.

Weniger Ausländer als in Luxemburg

In der Tat hat sich China seit der Pandemie radikal gewandelt. Die geschlossenen Landesgrenzen und strengen Quarantänebestimmungen haben dazu geführt, dass in Peking und Shanghai zusammengenommen weniger Ausländer leben als im kleinen Luxemburg.

Gleichzeitig hat die digitale Überwachung ein Ausmaß erreicht, das für Außenstehende kaum mehr zu begreifen ist: Vor Pekings Wohnanlagen wachen Nachbarschaftskomitees mit roten Armbinden, an vielen Hauseingängen sind Kameras mit Gesichtserkennung montiert und selbst ein Supermarktbesuch ist nicht mehr möglich, ohne sich vorher mit seinem Smartphone digital zu registrieren. Das Vorzeigen des „grünen Gesundheitscodes“ ist derart essenziell für den chinesischen Alltag geworden, dass sich seit der Pandemie etliche Verbrecher, die Jahre zuvor ein Leben auf der Flucht führten, nun freiwillig der Polizei gestellt haben.

Doch am Austragungsort selbst scheint die politische Debatte weit weg. Die Fahrt nach Yanqing führt zunächst an einförmigen Apartmentsiedlungen vorbei, die allmählich kargen Feldern und schließlich schroffen Bergen weichen. Die Landschaft ist atemberaubend schön, die Temperaturen sibirisch kalt und der Himmel blaut wie aus einem Malkasten. Und dennoch mag sich klassische Wintersportstimmung nicht so recht einstellen: Denn auch wenn Yanqing in den Fernsehberichten des Staatsfernsehens als weißes Winterwunderland porträtiert wird, ist in der Realität weit und breit kein Naturschnee zu sehen. Ganz im Gegenteil: Die Berghänge sind derart karg und trocken, dass man bei der dürren Landschaft das Gefühl hat, durch einen bräunlichen Retrofilter zu blicken.

Für Abhilfe sorgen die 135 Schneekanonen, die bereits seit November auf Hochtouren laufen. Zehn Liter pro Sekunde sprühen sie in die Luft, das Wasser wird von umliegenden Stauseen Hunderte Meter in die Berge hochgeleitet. Allein für die alpine Skipiste werden wohl umgerechnet eine Million Kubikmeter benötigt.

Umweltschutzgebiet neu definiert

Einer der Männer, der für die weiße Kulisse sorgt, ist Li Xin. Vor der internationalen Presse rechtfertigt er den immensen Aufwand, Schnee in die Pekinger Berge zu bringen: „Wir verursachen keine chemische Verschmutzung bei der Schneegewinnung. Sämtliches Wasser kommt aus einem Stausee, nicht von unter der Erde. Und für den Strom benutzen wir nur grüne Quellen“, sagt Li. Die Organisatoren sprechen gar von den „nachhaltigsten“ Spielen in der olympischen Geschichte. Dass die alpinen Skipisten jedoch inmitten eines Umweltschutzgebiets platziert wurden, passt da wohl kaum ins Bild. Die Behörden reagierten prompt mit einer typisch chinesischen Lösung: Die Grenzen des Naturschutzparks wurden schlichtweg um die Piste herum verschoben.

Und dennoch lässt sich ob der Infrastruktur nur staunen, in welch kurzer Zeit die Chinesen ganze Autobahnstrecken und Hochgeschwindigkeitsgleise in die Landschaft gesetzt haben. Die Skipisten wirken, als wären sie mit Sprengstoff und Betonguss aus den Berghängen gemeißelt. Das olympische Dorf in Yanqing wurde vollständig mit einer Fußbodenheizung ausgestattet, sodass die Athleten ihre Jacke auch beim Gang zwischen Fitnessstudio und Zimmer zu Hause lassen können.

Gerade im Kontrast zur eher bescheidenen Bauweise im südkoreanischen Pyeongchang vor vier Jahren wirken die Anlagen in Yanqing hochmodern, geradezu monumental – jedoch in der menschenleeren Landschaft auch merkwürdig verloren. Es braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Austragungsstätten bereits in wenigen Jahren zu regelrechten Geisterstädten mutieren.

Den absoluten Superlativ stellt der „fliegende Schneedrache“ dar: Chinas erste Bobbahn – und mit einer Strecke von 1,6 Kilometern weltweit die längste. Die kurvenreiche Strecke ist vollständig überdacht und beherbergt Sitzplätze für 2.000 Zuschauer, denen die Sportler quasi an der Nase vorbeirasen. „An sich hatten wir volle Ränge geplant, aber jetzt wird unser Konzept noch ausgearbeitet“, sagt Yang Jinkai, zuständig für den Betrieb und die Infrastruktur.

Roboter als Dienstleister

Spätestens mit dem jüngsten Omikron-Ausbruch in Tianjin, nur wenige Autostunden von Peking entfernt, werden sämtliche Pläne wohl ad acta gelegt. Ohnehin ist das Corona-Sicherheitskonzept auch im Vergleich zu Tokio deutlich strenger: Busse bringen die Athleten von ihren Hotels zu den Sportstätten; farblich markierte Zäune stellen sicher, dass die Olympiateilnehmer keinen Kontakt mit dem Rest der Bevölkerung aufnehmen. Zudem muss ausnahmslos jeder von ihnen täglich einen PCR-Test machen. Und 1,50 Meter große, silbergraue Dienstleistungsroboter helfen dabei, den menschlichen Kontakt auf ein Minimum reduzieren.

Einen unfreiwilligen Vorgeschmack auf die strenge Null-Covid-Politik hat der deutsche Rodler Tobias Arlt bereits im November bei einem Weltcuprennen in Yanqing erhalten. Ein offenbar fehlerhafter Coronatest wies den 34-Jährigen fälschlicherweise als positiv aus. „Da ist dann auch schon der Krankenwagen vorgefahren, in den ich abgeführt worden bin“, erzählt Arlt später im ZDF-Sportstudio. Die nächsten 48 Stunden verbringt der Berchtesgadener in einem Kabuff mit mehreren Kakerlaken. Erst nach zwei negativen Testergebnissen kann er sein Quarantänezimmer wieder verlassen. Gewöhnliche Einreisende nach China haben nicht immer so viel Glück: In mehreren Fällen haben positive Coronatests zu mehrmonatigen Zwangsaufenthalten zwischen Spital und Quarantänezimmer geführt.

Doch die Coronabestimmungen sind nur eine von mehreren Herausforderungen für die Spiele. Auch die politische Debatte hängt wie ein Damoklesschwert über der Veranstaltung. Aufgrund der Gräuel gegen die Uiguren in Xinjiang, der Repressionen in Hongkong und der immer aggressiveren Rhetorik gegenüber Taiwan haben bereits etliche Staaten entschieden, dass sie China auf der olympischen Bühne nicht politisch aufwerten wollen. Litauen hatte Anfang Dezember als erstes Land einen diplomatischen Boykott angekündigt, es folgten die USA, Großbritannien, Australien und Kanada. Auch Japan wird laut eigener Aussage keine hochrangigen politischen Vertreter nach Peking entsenden. Die europäische Union ringt noch um eine gemeinsame Linie.

Umso naiver wirken die einstigen Aussagen von IOC-Chef Thomas Bach von vor 20 Jahren: Damals kommentierte der deutsche Sportfunktionär die Wahl Pekings als Gastgeber für Olympia 2008. „Zumindest ist eins erreicht: dass sich der Blick der Weltöffentlichkeit noch strikter auf China richtet als das ohnehin schon der Fall ist. Und diese strenge Beobachtung kann natürlich wieder auch zum Wandel beitragen“. Tatsächlich hat sich China gewandelt – allerdings anders, als es sich der Westen damals vorgestellt hatte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.