Vortrag von Historikerin Olga Dror: Überväter und Regierungschaos

Im Vietnamkrieg verbreiteten Schulbücher politische Lehren, um das Bewusstsein von Kindern zu beeinflussen. Eine Übersicht der Kriegsgeschichte.

Portrait

Der Einzige, der in der Partei einen Bart trug: Der Nord-Vietnamesische Führer Ho Chi Minh um 1950 Foto: AP

Vietnam gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. In Südostasien ist die sozialistische Republik wichtigster Handelspartner Deutschlands. Nachrichten aus dem 100-Millionen-Einwohnerstaat, das wurde bei Kanzler Scholz’ jüngster Reise dorthin wieder offenbar, sind jedoch eher rar.

Untrennbar verbunden ist das Bild Vietnams noch heute mit dem blutigen Bürger- und Stellvertreterkrieg, der zwischen 1955 und 1975 Todesopfer in Millionenhöhe forderte. Wie sehr der Nord- und Süddualismus schon in den Köpfen der jungen Viet­na­me­s:in­nen verankert war, erklärt die Historikerin Olga Dror, die vergangene Woche einen Online-Gastvortrag an der Universität Hamburg hielt und mit „Making Two Vietnams“ ein Buch über die Indoktrination vietnamesischer Kinder und Jugendlicher geschrieben hat.

Der Grad an Propaganda, dem Schü­le­r:in­nen während des Viet­namkriegs ausgesetzt waren, so fand sie heraus, unterschied sich zwischen den beiden Landesteilen stark. Dror, die in der Sowjetunion und in Israel lebte und heute in Texas lehrt, zeigt einen Kindercomic aus Nordvietnam, auf dem ein Junge vor einer Messlatte steht und davon träumt, endlich Amerikaner bekämpfen zu dürfen. In den 1960er Jahren seien die nordvietnamesischen Schulbücher voll von Propaganda gewesen, sagt Dror. Selbst im Matheunterricht habe man Zählen anhand von erschossenen Feinden gelernt.

13-Jähriger soll 300 US-Amerikaner ermordet haben

Dror zitiert aus einem von der kommunistischen Regierung zu Kriegszeiten veröffentlichten Propagandabrief, den angeblich ein 13-Jähriger verschickte, der sich – als vermeintlicher Mörder von 300 US-Amerikanern – bei den Vietcong bewarb.

Anders die Lage im Süden. Dror erzählt, sie habe Interviews mit Süd­viet­na­me­s:in­nen geführt, die zu Kriegszeiten zur Schule gingen. Während im Norden die Namen der Staats- und Klassenfeinde omnipräsent waren, hätten im Süden die meisten Kinder, so sagt sie, von Ho Chi Minh, dem Staatsführer und Übervater Nordvietnams, noch nie gehört.

Propagandistisch habe man eher die eigentliche Einigkeit des Landes betonen wollen. Südvietnam, das stellt sie auch klar, war trotz allem keinesfalls ein freies Land. Auch seien nicht wenige Süd­viet­na­me­s:in­nen offen oder versteckt vom Kommunismus überzeugt gewesen; ideologisch war man nicht annähernd so geeint wie der Norden.

Während „Onkel Ho“ über 20 Jahre lang als Premierminister und späterer Präsident über Nordvietnam herrschte, wechselte die Staatsführung im Süden häufig. Der unbeliebte Präsident Ngo Dinh Diem, vom letzten vietnamesischen Kaiser ins Amt gehoben, setzte kurz darauf ebendiesen Kaiser ab, ließ Wahlen manipulieren und baute ein weit gestricktes Geheimdienstnetz auf.

Seine Amtszeit zeichnete sich aus durch Korruption. 1963 ermordet, schlug die Nachfolgeregierung vor, den Tag des Attentats auf Ngo Dinh Diem zum Nationalfeiertag zu erklären, sagt Dror. In den Folgejahren wechselten sich mehrere Militärregierungen ab, die jeweils ihre Vorgänger propagandistisch verdammten.

Personenkult um Ho Chi Minh

Dror, die in ihrem Vortrag einen guten Überblick über die ereignisreichen 20 Jahre vietnamesischer Kriegsgeschichte gibt, präsentiert zuletzt, angesprochen auf den Personenkult um Ho Chi Minh, eine interessante Theorie. Zum Übervater hatte dieser wohl auch durch die in seiner Person vereinten Geistesrichtungen des Kommunismus und Konfuzianismus aufsteigen können. Nicht nur lebte der Staatsführer in einer bescheidenen Hütte, Dror macht auch auf sein Erscheinungsbild aufmerksam. „Er war der einzige in der Partei, der einen Bart trug“, sagt sie.

Die Viet­na­me­s:in­nen wollten sich der Welt öffnen, meint Dror. „Vietnam ist nicht demokratisch, aber auch nicht China“

Der Kult um seine Person sei in den letzten Jahren jedoch merklich geschrumpft. Die Viet­na­me­s:in­nen wollten sich der Welt öffnen, meint sie. „Viet­nam ist nicht demokratisch, aber es ist auch nicht China.“ Was die Meinungsfreiheit angeht, schenken sich heute beide dem Namen nach kommunistischen Staaten jedoch nichts. Vietnam belegt in der Rangliste der Pressefreiheit den 174., China den 175. Platz.

Viel Luft nach unten bleibt nicht: Schlechter schneiden nur noch Myanmar, Turkmenistan, Iran, Eritrea und Nordkorea ab.

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