WM-Premiere Bosnien-Herzegowinas: Wir sind wieder wir

Das Fußballteam ist das Schönste, was den Bosniern nach dem Krieg passiert ist. Es bietet die Chance, das Land endlich zu einen.

Siegesfeier nach der Qualifikation Bosnien-Herzegowinas zur WM. Bild: dpa

Zweimal standen wir kurz vor einem weltweiten Auftritt. Aber statt 2010 zur WM und 2012 zur EM zu fahren, schossen uns die Portugiesen in den Relegationsspielen in ein Nachkriegs- und Transitionsland zurück. Portugal wurde in Bosnien zum Synonym für „Entscheidungsspiel“.

In Entwicklungsländern hat der Fußball mehr Gewicht als das Leben. Um unsere Wunden zu heilen, schien seine magischen Macht unsere letzte Möglichkeit zu sein. Ich erinnere mich an all die traurigen Fan-Kolonnen, die nach den beiden Debakeln aus dem Olympiastadion von Kosevo zurückkamen. Wir glaubten, Kosevo sei verhext. Wie hätten wir das auch nicht glauben können, wo doch dort, im Ausweichstadion des SK Sarajevo, im Krieg getötete Bürger der Stadt begraben wurden.

Nur als Zaungäste konnten wir dann also unseren östlichen und westlichen ehemaligen Bruderstaaten dabei zuschauen, wie sie sich vor der Welt präsentierten, während unsere talentierten Spieler gegen drittklassige europäische Teams zu kämpfen hatten.

Unserem hochkriminellen und korrupten Fußballverband war das egal. Warum sollte der Verband nicht genauso sein wie die Gesellschaft: erfolglos. Das einzige Schutzschild, was den „Drachen“ in dieser Zeit half, war ihr multiethnischer Charakter.

Drei Präsidenten und kein Staat

Erst als der charismatische und umstrittene kroatische Trainer Miroslav „Ciro“ Blazevic kam, lebte unser Fußball wieder auf. Umstritten war Blazevic, weil er mit dem verstorbenen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman befreundet war. Doch gerade dieser Kroate war es, der den Bosniern den so dringend benötigten Schub gab, sich wieder als Gemeinschaft zu fühlen und den Glauben an die eigenen Möglichkeiten zurückzugewinnen.

Beim Spiel gegen Armenien 2008 lief Blazevic im ausverkauften Stadion von Zenica die Eröffnungsrunde – noch bevor die Spieler zum Warmmachen aufs Feld kamen. Das ganze Stadion sang sich in Ekstase. Es war klar, dass wir schon gewonnen hatten, bevor das Spiel überhaupt anfing.

2011 suspendierte die Fifa Bosnien-Herzegowina, weil der Verband sich nicht darauf einigen konnte, künftig einen statt drei Präsidenten zu haben. Drei Präsidenten vertraten die drei Entitäten innerhalb des Staats: Bosnier, Kroaten und Serben. Der Verband war damit so strukturiert wie das ganze Land nach dem Daytoner Vertrag: drei Präsidenten und drei Länder, die keine gemeinsame Staatlichkeit zustande bringen.

Die Fifa gründete nun das Komitee zur Normalisierung des bosnischen Fußballverbands und setzte den legendären Trainer Ivica Osim ein, der die tragische Goldene Generation der Jugoslawen 1990 ins Viertelfinale der WM in Italien führte. Einige ehemalige Funktionäre landeten hinter Gittern und der Verband wurde von Grund auf neu strukturiert. Osim schaffte es sogar, den antibosnischen Präsidenten der Serbischen Republik dazu zu bringen, sich auf einen Präsidenten – egal welcher ethnischer Herkunft – festzulegen.

Das war die Voraussetzung des Erfolgs der „Drachen“, die sich jetzt zum ersten Mal der Weltöffentlichkeit präsentieren können. Als Teilnehmerland mit den meisten Arbeitslosen (vor Kamerun) haben wir jetzt schon einen Wettbewerb gewonnen. Gerade noch haben uns Hochwasser und Erdrutsch fast ertrinken lassen, aber wenn der Ball auf das Feld rollt, werden auch diese Qualen vergessen sein.

Endlich eine Einheit

Das bosnische Fußballteam ist das schönste, was uns nach dem Krieg passiert ist. Zum ersten Mal seit 20 Jahren gibt es eine Institution, die den Einwohnern unseres Landes das Gefühl gibt, eine Einheit zu sein. Ich habe keine Illusionen mehr, trotzdem glaube ich, dass die „Drachen“ dieses Gefühl der Einheit aufrechterhalten können. Allein der WM-Auftritt ist schon ein großer Schritt zu einem normalen Leben in einem normalen Land.

Wenn sich Bosnien für die zweite Runde der WM qualifiziert, wird sich die Erde weiterdrehen, als wäre nichts geschehen. Aber in den Herzen der Einwohner unseres Landes wird es revolutionär zugehen. Auch wenn das nur für einige Tage der Fall sein wird, wichtig ist, dass das Lächeln in die Gesichter der Bosnier und Herzegowiner zurückkehrt.

Hätten die Politiker in diesem Land nur ein Fünkchen Verstand, würden sie sich ein Beispiel an dieser Mannschaft nehmen. Bosnien und Herzegowina kann sich nur als Einheit aus der politischen Stagnation befreien. Das aber wird nur passieren, wenn die Weltmächte dem Staat ein Komitee zur Normalisierung des ganzen Landes nach dem Vorbild des Fußballverbands aufzwängen.

(Aus dem Bosnischen von Doris Akrap)

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