Waffenlieferung an die Ukraine: Wer will für den Donbass sterben?

Blick in die Geschichte: 1939 wollte niemand für Danzig sterben. Bekanntlich führte das erst recht ins Unglück. Und wie sieht es heute aus?

Ein ukrainischer Soldat feuert eine Panzerfaust auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Nähe der Stadt Donezk

Ein ukrainischer Soldat im Donbass kämpft gegen die Russen Foto: Libkos/AP/dpa

Die Erklärung des französischen Präsidenten über die mögliche Entsendung von Truppen in die Ukraine hat im Westen einen größeren Sturm ausgelöst als in Polen. Ein bekannter Geopolitikexperte aus Paris erklärte, dass er „keine Lust hat, für den Donbass zu sterben“.

Die Tatsache, dass dieser Experte nicht im wehrpflichtigen Alter ist, ist eher unwichtig. Nur wenige haben übrigens verstanden, worauf er hinauswollte: auf den berüchtigten Zeitungsartikel vom Mai 1939, in dem ein anderer Franzose die defätistische Frage „Warum für Danzig sterben“ gestellt hatte. Es sei daran erinnert, dass dieser andere Franzose, Marcel Déat, nach der Niederlage 1940 Mitglied von Vichy war und bis 1945 aktiv mit den Besatzungsmächten kollaborierte.

In Mittel- und Osteuropa werden solche Erklärungen mit einem gewissen Misstrauen aufgenommen. Es ist natürlich schön, dass Emmanuel Macron weitreichende Solidarität mit Kyjiw erklärt. Allerdings scheint die Politik der westeuropäischen Staaten angesichts eines auswachsenden Kriegs noch etwas labil.

Der französische Präsident hat in zwei Jahren einen weiten Weg zurückgelegt. Er hat sich von 2017 bis 2022 – trotz der Annexion der Krim und des Kriegs im Donbass – dafür eingesetzt, mit Moskau auszukommen, und sich im Mai 2023 in Bratislava auf die Schulter geklopft, dass die Nachbarn Russlands mit der Bedrohung aus dem Osten recht hätten. Die deutsche Politik war auch nicht die konsequenteste. Trotz der nachdrücklichen Erklärungen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist die Zurückhaltung bis heute auffällig, wenn es darum geht, die notwendigen Waffen zu schicken, um die Russen zu besiegen.

Helme für die Ukraine

Unterdessen spielt Russland auf Zeit. Es wartet geduldig auf den Ausgang der Wahlen zum Europäischen Parlament, auf die Ergebnisse der Wahlen im November in Übersee. Und über die nationalen Grenzen hinweg sät es der Zwietracht in die westeuropäischen Gesellschaften. Die enthüllten Gespräche von Bundeswehroffizieren über den Einsatz von Taurus-Raketen in der Ukraine haben die deutsche Elite buchstäblich gelähmt. Es war, als ob der Krieg nicht schon seit zwei Jahren andauern würde, als ob die Phase der „Entsendung von Helmen“ noch nicht vorbei wäre, als ob Wladimir Putin nicht deutlich gemacht hätte, dass er einen Krieg gegen den Westen führt, und als ob Alexej Nawalny nicht gerade getötet worden wäre.

Wie bei den Franzosen ist es unwahrscheinlich, dass die öffentliche Meinung für ein „Sterben für den Donbass“ brennt. In den Umfragen gewinnt ausschließlich die prorussische Partei AfD an Unterstützung. Wie in den ersten Tagen des Kriegs sind Aufrufe zur Verhinderung einer Eskalation zu hören, so als hätten Paris und Berlin den Krieg verursacht. Hinter diesen trickreichen Erklärungen steckt durchaus eine ziemliche Hybris.

Und doch kann man zumindest bei den Mächtigen einen gewissen Wandel feststellen: Immer mehr Politiker sind bereit, Tallinn, Kyjiw oder Warschau in der Russlandfrage Zugeständnisse zu machen. Es fällt jedoch schwer, sich die bittere Bemerkung zu verkneifen, dass dies um den Preis einer zunehmenden Entfremdung zwischen den Eliten und ihrem eigenen Souverän, dem Volk, geschieht.

Die meisten Menschen im Jahr 1939 wollten nicht „für Danzig sterben“, ebenso will im Jahr 2024 kaum jemand in der Europäischen Union „für den Donbass sterben“.

Auch nach zwei Jahren Krieg teilen viele Polinnen und Polen diese Ansicht. Niemand möchte ein Risiko eingehen. So gesehen ist im 21. Jahrhundert endlich der Traum von Generationen in Erfüllung gegangen: Und wir Polen sind endlich zu 100 Prozent westlich geworden.

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