Wahlen in Polen: Hürdenlauf zur Wahlurne

Die Wahlen am Sonntag mobilisieren so viele Polen in Deutschland wie noch nie. Dabei hat Polens Regierung Bür­ge­rn im Ausland das Wählen erschwert.

Ein Wähler steckt seinen Wahlzettel in die Wahlurne am 13. Oktober 2019 in Warschau

An der Wahlurne in Warschau: Für die polnische Diaspora nicht machbar Foto: Darko Bandic/ap

BERLIN taz | Am Wochenende fährt Marcin Kłobus nach Polen, um wählen zu gehen. „Ich bin dort gemeldet, in einem Dorf unweit von Breslau, meine Eltern leben da. Bei der Gelegenheit kann ich sie mal wieder besuchen“, sagt der 46-jährige Ingenieur. Er hätte auch in Berlin wählen können, aber das ist ihm zu umständlich und zu riskant. „Bei der letzten Präsidentschaftswahl habe ich in der Botschaft in Berlin abgestimmt“ sagt er. „Es gab lange Schlangen, ich habe zwei Stunden angestanden. Außerdem fürchte ich diesmal, dass meine Stimme verfällt, wenn sie nicht fristgerecht ausgezählt wird.“

Wenn an diesem Sonntag in Polen gewählt wird, dann sind auch viele Menschen in Deutschland stimmberechtigt. Rund 2,2 Millionen Menschen hierzulande haben einen polnischen Migrationshintergrund – die zweitgrößte Gruppe nach den Ein­wan­de­re­rn aus der Türkei und deren Nachkommen. Über eine Million Menschen in Deutschland besitzen einen polnischen Pass, die meisten davon keinen anderen. Aber nur jeder Zehnte von ihnen wird am Sonntag seine Stimme abgeben.

Der Grund dafür sind die komplizierten Regeln, die es im Ausland lebenden Staats­bür­ge­rn erschweren, sich an den Wahlen in Polen zu beteiligen. Zunächst muss man sich dafür ins Wahlregister eintragen lassen. Die rechtsnationale Regierung in Warschau hat aber noch weitere Hürden errichtet.

Wählen für Bürger im Ausland erschwert

So ist eine Briefwahl inzwischen nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. Außerdem müssen alle Stimmzettel im Ausland innerhalb von 24 Stunden ausgezählt werden, sonst verfallen sie. Die polnische Regierung hat im Wahlgesetz nun verfügt, dass alle Stimmzettel vor der Übermittlung von allen Mitgliedern der Wahlkommission geprüft werden müssen, um zu zählen. Zugleich hat sie parallel zur Wahl ein Referendum angesetzt, was die Arbeit erhöht. Kri­ti­ke­r bezweifeln, dass in Großstädten wie Berlin oder Köln, wo viele Polinnen und Polen leben, alle Stimmen fristgerecht ausgezählt werden können. Sie vermuten dahinter eine bewusste Schikane.

Der Grund für diesen Verdacht: Im Ausland lebende Polinnen und Polen stimmten bei den vergangenen Wahlen mehrheitlich für die Opposition. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien oder in den USA, weiteren Hochburgen der Diaspora. In diesem Jahr haben sich weltweit 600.000 Polinnen und Polen im Ausland für die Wahlen registriert, über 100.000 allein in Deutschland – ein Rekordwert. Seit Jahren steigt die Wahlbeteiligung der polnischen Staats­bür­ge­r in Deutschland. An der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren hatten sich hierzulande noch rund 84.000 Menschen beteiligt.

„Sie können das Zünglein an der Waage sein“, sagt Joanna Stolarek, die in Warschau das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung leitet, angesichts der rund 30 Millionen polnischen Wahlberechtigten insgesamt. „Es war noch nie so wichtig“, wie die Polinnen und Polen abstimmen – das Gefühl einer „Schicksalswahl“ sei weit verbreitet. Vereinzelt waren polnische Politiker vor den Wahlen auch in deutschen Städten zu Gast. An Orten wie Berlin habe es eine „große Mobilmachung“ gegeben, um für eine Stimmabgabe zu werben, und viele hätten sich auch als Wahlbeobachter eintragen lassen.

Regierung versucht Diaspora an sich zu binden

„Die Wahl in Polen mobilisiert!“, sagt auch die Berliner Integrationsbeauftragte, Katarina Niewiedzal. Sie ist auch die Landesbeauftragte für die Berliner „Polonia“, wie die polnische Diaspora bezeichnet wird, und sei deshalb „in engem Austausch mit der polnischen Community in Berlin“. Allein in Berlin hätten sich über 14.000 Wahlberechtigte registriert – fast doppelt so viele wie bei der vergangenen polnischen Parlamentswahl im Jahr 2019, hat Niewiedzal gezählt.

Über Volksfeste, Veranstaltungen in Botschaften oder kon­servative Vereine versucht die polnische Regierung, die Diaspora an sich zu binden. „Sie finanziert nur die Vereine, die ihre ­Politik vertreten“, sagt ­Joanna Stolarek. Die Auslands­polen seien oft kritischer – auch, weil sie nicht ständig von den Narrativen der national-­konservativen PiS in den Staatsmedien erreicht würden und nicht von den sozialen ­Wohl­taten profitierten, welche diese verteilt hat. „Aber die Polonia ist genau so gespalten, wie die ­Gesellschaft in Polen gespalten ist. Es gibt auch hier eine starke, national-religiöse Minderheit.“

Wer in Deutschland wählen möchte, kann seine Stimme in einem der bundesweit über 40 Wahllokale abgeben. Die sind meist in deutschen Großstädten zu finden, in Kulturzentren, Schulen oder Konsulaten. Doch noch eine Besonderheit verzerrt das polnische Wahlergebnis: Die Stimmen der Aus­lands­po­len werden alle zum Warschauer Wahlbezirk 19 hinzugezählt. Obwohl immer mehr Polinnen und Polen im Ausland leben, ist die Zahl der Mandate, die dort errungen werden können, seit Jahren unverändert geblieben. An anderen Orten in Polen können Kan­di­da­ten schon mit viel weniger Stimmen ins Parlament in Warschau, den Sejm, einziehen als in der Hauptstadt.

Noch ein Grund mehr für Marcin Kłobus, seine Stimme im Heimatdorf seiner Eltern abzugeben. Er weiß: „Es gibt auch in Polen Menschen, die in kleinere Orte fahren, um dort zu wählen, weil sie hoffen, dass ihre Stimme dort einen größeren Unterschied machen kann.“

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