Wahlwiederholung am 12. Februar: Enteignung als Gewissensfrage

Beim Spitzenkandidatentreffen positioniert sich Giffey klar gegen Enteignung von Wohnkonzernen. Grüne Jarasch will nicht alle Autos verbannen.

Das Bild zeigt Franziska Giffey (SPD) und Kai Wegner (CDU) bei einer Podiumsdiskussion zur Wiederholungswahl.

Mochte noch neben ihm sitzen: Der vermeintlich „einsame Kai“ Wegner auf dem Podium mit Franziska Giffey Foto: picture alliance/dpa | Paul Zinken

BERLIN taz | Es sind gleich mehrere Erkenntnisse, mit denen sich aus dem ersten großen Spitzenkandidatentreffen des Jahres heraus gehen lässt. Da ist zum einen: Müssten sich die sechs, die am Montagabend auf Einladung des Wirtschaftsverbands VBKI und des Tagesspiegel zusammen sitzen, für die Wahl am 12. Februar auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen, läge der parteilose Wirtschaftssenator Stephan Schwarz nahe. Der ist gar nicht auf der Bühne, wird aber von der Linkspartei genauso gelobt wie von CDU und FDP.

Zweitens zeigt sich, dass es wenigstens menschlich nicht so einsam ist um CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, wie es die SPD-Fraktion nahe legte, als sie ihn jüngst wegen gerade stark eingeschränkter Koalitionsoptionen als „den einsamen Kai“ verspottete. Zumindest wenn man Duzen als Ausdruck einer gewissen Sympathie versteht – denn auf der Bühne duzt Wegner auch Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer.

Das ist durchaus nicht als bloß oberflächlich abzutun. Doch die entscheidenden Momente erlebt das Treffen tatsächlich auf zwei inhaltlichen Feldern, nämlich Mobilität und Enteignung von großen Wohnungsunternehmen als Folge des erfolgreichen Volksentscheids vom 26. September 2021.

Bettina Jarasch von den Grünen ist an diesem Abend zuvor eher am Rand beteiligt, aber eine spöttische Frage des Moderators bringt sie richtig ins Gespräch. „Frau Jarasch, warum wollen sie dem Kai und dem Sebastian das Auto wegnehmen?“, will der wissen, anspielend auf Wahlkampfaussagen von Wegner und FDP-Spitzenmann Sebastian Czaja, die sich gegen ein vermeintliches grünes Autoverbot richten. „Ich nehm' niemandem das Auto weg“, kontert Jarasch, „ich verbiete auch niemandem das Autofahren.“

Ab und zu mal das Auto

Was sie tatsächlich wolle: Daran arbeiten, dass immer weniger Leute ein Auto brauchen. Klimaschutz soll durch sie „wirklich mal“ Priorität bekommen. Solch ein Schutz geht nach Jaraschs Wahrnehmung vielen schnell über die Lippen, „doch bei den beiden netten Herren neben mir (gemeint sind Wegner und Czaja, d. taz) endet das Thema Klimaschutz sofort, wenn's um weniger Autos geht.“ Und sie sage ausdrücklich: „Nicht ohne Autos – das wird in Berlin nicht funktionieren, wir werden auch am Ende in Berlin noch Autos haben.“ Zumal Jarasch nach eigenem Bekunden selbst „ab und zu“ Auto fährt.

Das hätte die bleibende Aussage des Abend sein können. Doch dann kommt eine Schlussrunde der sechs, und als letzte ist Franziska Giffey dran, die aktuelle Regierungschefin und SPD-Spitzenkandidatin. Enteignung ist in den eineinhalb Stunden zuvor eher am Rande ein Thema gewesen, worüber sich Kai Wegner gleich mehrfach beschwerte. In Giffeys Schlusswort aber wird das anders.

Drei Tage, nachdem ihr Koalitionspartner Linkspartei bei einem Parteitag nochmal laut für Enteignung plädierte und dabei eine Gastrednerin der Initiative „Deutsche Wohnen & Co.“ beklatschte, geht Giffey bei ihrer Wortwahl noch über jene von ihr bisher gezogene „Rote Linie“ hinaus. Als solche hatte sie 2021, mit Blick auf die Bildung einer Regierungskoalition, Enteignungen bezeichnet. Zwar argumentiert sie wie sonst auch mit Milliardenkosten und keiner dadurch zusätzlich entstehenden Wohnung. Zudem verpflichte sie ihr Amtseid, „Schaden von der Stadt abzuwenden“.

Doch sie macht das Thema auch zur Gewissensfrage. Sie sei im Osten des Landes geboren, „in einem anderen Land, in dem Enteignung auch eine Dimension hatte“, sagt Giffey. „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen.“ Und merklich für den Fall, dass die vom Senat eingesetzte Expertenkommission etwas anderes empfiehlt, fügt sie hinzu: „Was theoretisch möglich ist, heißt noch nicht, dass es wirklich auch gut ist für die Stadt.“

Wäre das nicht der Schlussbeitrag der Runde gewesen, hätte nun sofort die Frage an Klaus Lederer folgen müssen, wie das dann weiter gehen solle mit der Koalition. Aber dafür gibt es ja noch andere Gelegenheiten – bis zur Wiederholungswahl sind es ja noch fast vier Wochen.

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