Was uns verbindet: Manifest der Hoffnung

Tareq Alaows engagiert gegen rechts. Demonstrationen wie jüngst sieht er als überfällig. Denn der Schutz unserer Demokratie ist kein Selbstläufer.

Demonstrierende vor dem Berliner Reichstag, auf einem Schild sthet "Wir sind mehr"

Mit den Demonstranten fühlt sich unser Autor verbunden: Protest vor dem Reichstag am 21. Januar Foto: Stefan Boness

Als ich am Morgen des 10. Januar 2024 in Berlin erwachte, ahnte ich nicht, dass dieser Tag eine historische Wende im Engagement der letzten Jahre für die Rechte von Geflüchteten und den Kampf gegen Rassismus in Deutschland markieren würde. Der Moment, als ich erfuhr, dass das Recherchezentrum Correctiv ein Geheimtreffen von Rechtsextremen enthüllt hatte, ließ mich kurz erschrocken innehalten. Sie hatten einen Plan diskutiert, wonach Millionen von Menschen aus Deutschland deportiert werden sollen: Sei es, weil sie Geflüchtete sind, deutsche Staatsangehörige mit Migra­tions­geschichte oder Deutsche, die Geflüchteten helfen.

Überraschenderweise war ich nicht geschockt. Mein Herz war schwer, aber mein Geist war gefestigt. Der Bericht von Correctiv war für mich nicht mehr als eine Bestätigung dessen, was ich und viele von Rassismus betroffene Menschen, vor allem diejenigen, die in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zeigen, alltäglich erleben. Auch die ersten öf­fent­lichen Reaktionen von manchen AfD-Bundestagsabgeordneten wie René Springer, dass dies keine Geheimpläne seien, sondern Versprechen, waren nicht überraschend.

Seit Jahren gibt es einen Rechtsruck in diesem Land, verschieben auch Po­li­ti­ke­r*in­nen der demokratischen Parteien die Grenzen der migrationspolitischen Debatten und dessen, was gegen Geflüchtete und andere Mi­gran­t*in­nen gesagt und getan wird, immer weiter nach rechts. Dagegen gab es nur wenige Proteste und keine großen Demonstrationen.

Deshalb waren wir von Pro Asyl und viele Part­ne­r*in­nen seit Monaten dabei, „Hand in Hand“ zu organisieren, ein großes Bündnis gegen rechts. Der Termin für eine Menschenkette um den Reichstag stand schon fest, der 3. Februar.

Als dann plötzlich in ganz Deutschland Menschen auf die Straßen gingen, um gegen rechts zu demonstrieren, zeigte sich, dass wir doch nicht allein in diesem Kampf stehen. Das war überraschend!

Wer sich in den letzten Jahren gegen den Rechtsruck, gegen Rassismus und gegen die Beschneidung von Rechten der Geflüchteten engagiert hat, hätte nicht gedacht, dass einmal Zehntausende von Menschen auf den Straßen und in der medialen Öffentlichkeit protestieren werden.

Ein „wir“

Inmitten der Menschenmassen, umgeben von Tausenden, die gegen Rechtsextremismus protestieren und die Demokratie verteidigen, finde ich eine Gemeinschaft. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit, ein „wir“. Egal ob es Menschen sind, die erst seit Kurzem in Deutschland sind oder deren Familien seit Generationen hier leben, egal ob sie von den menschenverachtenden Plänen betroffen sind oder nicht, sie schon seit Jahren in der Antifa kämpfen oder sie zum ersten Mal gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen.

Jeder und jede Einzelne von ihnen ist ein Teil unserer Gesellschaft. Was uns verbindet ist viel stärker als das, was uns trennt. Mein Herz schlug im Einklang mit denen, die die Grundsätze der Demokratie schützen wollen und erkennen, dass die Menschenrechte für alle gelten.

Ich hätte mir persönlich so einen Moment, mit Zehntausenden auf den Straßen, schon gewünscht, als die Ampelregierung der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) zugestimmt hat; der Reform, die zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl führen wird. Dieser Moment hätte auch sein können, als Bundeskanzler Olaf Scholz im großen Stil abschieben wollte oder als CDU-Chef Friedrich Merz faktenfrei über Zahnarzttermine fabulierte. Auch wenn diese Aussagen und Beschlüsse lange nicht das gleiche Maß an Verachtung zeigen wie die Deportationspläne der Rechtsextremen, haben sie doch zum Rechtsruck beigetragen.

Erinnerungen an meine Erfahrungen in Syrien werden in diesen Tagen wach. Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, nicht in einer Demokratie zu leben. Und diese Erinnerungen dienen mir als treibende Kraft. Gerade diese Geschichte, meine Flucht aus Syrien im Jahr 2015, hat mir eine Perspektive geschenkt, die viele vielleicht nicht teilen können.

Ich weiß, wie es ist, seine Heimat zu verlassen und in einem neuen Land Fuß zu fassen. Diese Erfahrung gibt mir die Kraft, mich gegen jede Form von Diskriminierung, Unterdrückung und Ausschließung zu erheben. Es ist nicht nur politischer Aktivismus, sondern eine persönliche Verpflichtung, sicherzustellen, dass die Grundrechte und die Würde jedes Einzelnen geschützt werden.

Die Proteste der vergangenen Woche sind nicht nur eine Antwort auf erschreckende Pläne, sondern auch eine Manifestation der Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Grundsätze der Demokratie stark genug sind, um gegen diejenigen zu bestehen, die sie bedrohen. Hoffnung darauf, dass Menschen, egal welcher Herkunft, sich gemeinsam für eine gerechte und offene Gesellschaft und Menschenrechte einsetzen können und wollen, wenn diese bedroht werden.

Es mag eine bittere Realität sein, dass solche Deporta­tions­plä­ne überhaupt existieren, aber es ist auch eine Realität, dass wir, vereint in unserer Vielfalt, stärker sind. Und eine Realität ist, dass der Schutz unserer Demokratie nicht ein Selbstläufer, sondern ein mühevoller Weg ist. Ein Weg, der nicht an jeder Stelle flach und voller Blumen ist, sondern auch steinig sein kann. Ein Weg, für den es für uns alle keine Alternative gibt.

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ist flüchtlings­politischer Sprecher von Pro Asyl. 2023 trat er mit anderen Geflüchteten bei den Grünen aus. Grund waren die von der Partei mitgetragenen Ver­schärfungen in der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik wie beim EU-Asylsystem GEAS.

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