Weniger Arbeiten: 30 Stunden und nicht mehr

Über 100 Prominente fordern in einem offenen Brief eine neue Debatte über Arbeitszeitverkürzung. So will man Massenarbeitslosigkeit bekämpfen.

Auf zur Arbeit, aber bitte nicht mehr als 30 Stunden pro Woche. Bild: ap

BERLIN taz | Um die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ist es still geworden. Doch jetzt gibt es einen neuen Vorstoß. In einem offenen Brief, der diesen Montag vorgestellt wird und der taz vorliegt, fordern über 100 Wissenschaftler, Politiker, Gewerkschafter und Publizisten eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Sie wenden sich damit an die Vorstände der Gewerkschaften, Parteien, Sozial- und Umweltverbände sowie die Kirchenleitungen in Deutschland.

„Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Projekt Arbeitszeitverkürzung, es kann keine rein tarifpolitische Aufgabe mehr sein“, begründet Hein-Josef Bontrup, Professor für Wirtschaftsrecht an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen und Mitinitiator des Briefs, den Vorstoß.

Die Unterzeichner des Schreibens, darunter auch die Linksparteipolitikerinnen Katja Kipping und Sarah Wagenknecht oder der Sozialphilosoph Oskar Negt, sehen eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohnausgleich als Mittel, die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und Europa zu bekämpfen. „Ein Überangebot an den Arbeitsmärkten führt zu Lohnverfall“, heißt es in dem Brief. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit in Europa gelte es aber zu verhindern, „weiterhin die Krisenlasten der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit aufzubürden“.

Das Projekt Arbeitszeitverkürzung verstehen die Unterzeichner als gesamteuropäische und deutsche Aufgabe. „Neben den offiziell etwas über drei Millionen Arbeitslosen gibt es hierzulande über drei Millionen Teilzeitbeschäftigte, die im Schnitt 14,7 Stunden in der Woche arbeiten und denen das nicht reicht“, sagte Bontrup.

Die Vorstände großer Unternehmer machen einen Bogen um das Thema

Eine Arbeitszeitverkürzung sollte gestreckt über mehrere Jahre erfolgen. Sie würde allerdings nur ohne Lohnverlust funktionieren, wenn der gesamte verteilungsneutrale Spielraum – also Inflationssteigerung sowie Produktivitätssteigerung – den Beschäftigten zugute käme.

Betrügen die Steigerungsraten beispielsweise jeweils zwei Prozent jährlich, müssten die Arbeitnehmer zwei Prozent mehr Lohn erhalten, um den Preisauftrieb auszugleichen, und könnten zudem ihre Arbeitszeit um zwei Prozent reduzieren. „Damit bleiben die Lohnstückkosten konstant, den Unternehmen enstehen keine Wettbewerbsnachteile“, sagte Bontrup.

Er sieht vor allem die Gewerkschaften in der Pflicht und fordert eine konzertierte DGB-Kampagne. Doch in den Vorständen aller großen Gewerkschaften meidet man das Thema. Nicht zuletzt, seit die IG Metall 2003 mit ihrem Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland mit Pauken und Trompeten scheiterte.

„Die Gewerkschaftsspitzen behaupten, die Beschäftigten wollen keine Arbeitszeitverkürzung, weil sie Lohnverlust und Arbeitsintensivierung fürchten. Meine Erfahrung ist aber, es fehlt an fundamentalem Wissen und Aufklärung“, sagte Bontrup. Selbst mancher Gerwerkschaftsvorstand „kapiert Dinge aus dem ersten Semester Ökonomie nicht. Man muss die Ware Arbeitskraft verknappen, sonst bekommt man die Löhne nicht hoch“.

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