Wolfgang Tiefensee: Ein Cellist gerät aus dem Takt

Einst galt Verkehrsminister Tiefensee als politischer Nachwuchsstar. Jetzt ist er aus dem Tritt gekommen - und erreicht mit seiner Schlappe bei der Bahnreform den Tiefpunkt seiner Karriere.

Tiefensee kommt, die Genossen gähnen. Das war nicht immer so. Bild: ap

Vielleicht hätte er auf dem SPD-Parteitag noch mal sein Cello auspacken sollen. So wie damals im Jahr 2003, als er mit Bach die Olympiabewerbung seiner Stadt Leipzig verziert und die Fernsehnation zu Tränen gerührt hatte. Brahms für die Bahn-Reform - das wär doch was gewesen.

Ein bisschen menscheln, eine hübsche Pointe, irgendwas hätte Wolfgang Tiefensee doch einfallen müssen, um die Stimmung der Delegierten zu seinen Gunsten zu drehen. Stattdessen begann er am Samstag seine Bahn-Rede mit dem denkbar unoriginellsten Satz: "Wir stellen heute eine wichtige Weiche." Da hatte er schon verloren. Die Genossen gähnten, statt zu klatschen.

Der Verkehrsminister ist am vorläufigen Tiefpunkt seiner bundespolitischen Karriere angekommen. Statt sich gekonnt in Szene zu setzen, lässt sich Tiefensee von seinem Amt fesseln. Der 52-Jährige wirkt steif und dennoch völlig ohne Rückgrat; er macht sich schlicht unglaubwürdig, wenn er jetzt die Volksaktie als sein Projekt bezeichnet, sie ausgerechnet im aktuellen Bahnmagazin Mobil aber noch kategorisch ausschloss. Und doch ist das Einzige, für das er noch steht - die Bahn-Reform. Die aber ist, nachdem seine Partei die Volksaktie praktisch zur Bedingung für einen Börsengang gemacht hat, weiter entfernt denn je. "Totalbankrott für Tiefensee", rufen die Grünen, die CDU fordert, Finanzminister Peer Steinbrück mit dem Schicksal der Bahn zu beauftragen.

Mit ihrem Parteitagsbeschluss hat die SPD einen Mann abgestraft, in dem sie vor noch nicht allzu langer Zeit einen politischen Star zu erkennen glaubte. Einen, der nach seiner Zeit als Leipziger Oberbürgermeister sicher mal Ministerpräsident von Sachsen, womöglich sogar der erste ostdeutsche Bundeskanzler werden könne. Auch wenn er erst 1995 Sozialdemokrat geworden war. Der "Macher aus dem Osten", das war sein Image.

Momentan erinnert nichts mehr an seine Nehmerqualitäten, mit denen er die Leipziger Korruptionsaffären überstand, die im Zuge der Olympiabewerbung bis in seinen Freundeskreis metastasiert hatten. Vergessen ist das lockere Polittalent von damals, der bürgernahe Stadtverwalter.

Früher wäre er auf jeder Party eine Attraktion gewesen. Heute gehen sie, wenn er kommt. So wie am letzten Freitag, dem Abend vor seiner Rede. Da legte er die Krawatte ab, gab sich sportlich und besuchte die Feier der Parteilinken, seiner größten Kritiker. Überzeugungsarbeit wollte er leisten, in letzter Minute. Sie rollten mit den Augen. Es könnte ein Zeichen gewesen sein. Vielleicht hat Wolfgang Tiefensee bald wieder mehr Zeit für sein geliebtes Instrument. VEIT MEDICK

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