ZDF-Serie nach US-Vorbild: Wieder wie die Amis

Die ZDF-Serie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ wird horizontal erzählt. Sie kennt weder Gut noch Böse, nur Jürgen Vogel schwächelt.

Der Kommissar wird von Bodyguards zurückgehalten

Der Kommissar rastet ein bisschen aus. Foto: Stephan Rabold

Schon die Premiere war ungewöhnlich: Die neue ZDF-Serie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle wurde Anfang des Jahres auf der Berlinale präsentiert. In voller Länge, sechs Stunden lang auf der großen Leinwand. „Wir haben hier ein Programm, mit dem wir ganz besonders auftreten wollen“, sagt die ZDF-Redakteurin Caroline von Senden. Konkret heißt das in diesem Fall: Mit „Blochin“ orientiert sich das ZDF an den großen amerikanischen Serien, von denen TV-Connaisseure hierzulande schwärmen – „Mad Men“, „Breaking Bad“, „True Detective“.

Wie bei ihnen soll auch für „Blochin“ gelten: Horizontales, also episodenübergreifendes Erzählen, Fernsehen als Roman, komplexe Charaktere, Cliffhanger, Binge-watching, also das Schauen von mehreren Episoden hintereinander. Folgerichtig laufen die fünf „Blochin“-Folgen am kommenden Wochenende innerhalb von drei Abenden. Die erste Folge am Freitag, drei weitere am Samstag, das Finale am Sonntag. Sofort nach der ersten Folge stehen alle Episoden in der Mediathek.

„Die US-Serie ,The Wire‘ war meine größte Inspirationsquelle für ,Blochin‘ “, sagt Autor und Regisseur Matthias Glasner. „Sie hat das urbane Leben in einer komplexen Weise kartografiert wie keine andere Serie. Sie begann als Krimi, dann ging es um Politik, Medien, Schulsystem. Hauptfiguren sind plötzlich verschwunden oder haben sich vollkommen gewandelt. Ich habe den Ehrgeiz, etwas Vergleichbares zu schaffen, und bin gespannt, wie weit die Zuschauer den Weg mitgehen.“

Zunächst unterscheidet sich Glasners Serie noch nicht allzu sehr von konventionellen Krimis: Der Polizist Blochin (Jürgen Vogel) war vor seiner Zeit bei der Polizei in der kriminellen Berliner Drogenszene unterwegs und wurde nach einem Umweg über das Drogendezernat von seinem Schwager (Thomas Heinze) zur Mordkommission geholt. Gemeinsam müssen sie den Mord an einem kleinen Dealer aufklären, aber der Fall wird ihnen überraschend entzogen, das BKA übernimmt – vermutlich weil der Dealer mit politischen Entscheidungsträgern zu tun hatte.

Jürgen Vogel kann böse

Gleichzeitig bekommt Blochin ein größeres Problem: Sein früherer Kumpel Garbo (Sascha Gersak) erpresst ihn mit einem Video, auf dem zu sehen ist, wie Blochin einen Zuhälter tötet. Garbo verlangt, dass Blochin ihm bei einem Deal mit Drogen aus Afghanistan hilft, in den auch Bundeswehrsoldaten involviert sind.

Ab der zweiten Folge entwirft Matthias Glasner einen riesigen erzählerischen Kosmos. Interessante Charaktere tauchen auf, verschiedene Welten werden betreten – vom Berliner Untergrund bis zur Polit-Schickeria. Verknüpft wird das Ganze durch die Figur des Blochin, der beruflich und privat zunehmend unter Druck gerät. Die gern gezogenen Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen – wer gerade noch Sympathieträger war, kann schon im nächsten Moment zum Arschloch oder Mörder werden.

„Wir sollten in Deutschland endlich von der Vorstellung Abschied nehmen, dass eine Figur immer sympathisch sein und beim Zuschauer zur vollständigen Identifikation taugen muss“, sagt Jürgen Vogel. „Das ist unter anderem das Tolle an ,Blochin‘: Die Figuren fühlen sich total realistisch an, gerade weil sie extreme Entscheidungen treffen und auch ihre charakterlichen Schattenseiten offenbaren.“ Auch das ZDF kooperierte: „Es gab von Seiten des Senders keinerlei Beschränkungen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland an einer Schwelle zu einem Fernsehen stehen, bei dem mehr möglich ist als noch vor ein paar Jahren. Es gibt eine große Offenheit bei Redakteuren und Produzenten für neue Ideen, eine große Lust auf neues, gutes Fernsehen.“

Rückkehr des Horizontalen

Als großen Vorreiter sollte sich das ZDF trotzdem nicht feiern lassen. Experimente mit der horizontalen Erzählweise gibt es im deutschsprachigen Raum schon länger, man denke nur an Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“, das DDR-Drama „Weissensee“, die ORF-„Vorstadtweiber“ oder die europäische Koproduktion „The Team“, die kürzlich ebenfalls im ZDF lief. Ohnehin muss man bei der horizontalen Erzählweise in Deutschland eher von einer Wiederentdeckung sprechen, beispielsweise wurden ZDF-Weihnachtsserien wie „Anna“ und „Patrik Pacard“ in den 80er Jahren auch schon fortlaufend erzählt.

„Blochin – Die Lebenden und die Toten“, ZDF, beginnt am 25.09.2015, 20:15 Uhr

Ursprünglich war „Blochin“ als 90-Minüter konzipiert und sollte bei Erfolg als Reihe fortgesetzt werden. Nach Fertigstellung des Rohschnitts fiel die Entscheidung, eine Serie daraus zu machen. Die 90 Minuten wurden zum Piloten, zu diesem Zweck umgeschnitten und mit einigen neuen Szenen versehen. Vielleicht findet „Blochin“ auch wegen dieser ungewöhnlichen Umarbeiten erst Mitte der dritten Folge endgültig seinen Ton. Seine Schwächen ziehen sich bis zum Ende durch: Manche Erzählstränge und Figuren schlingern ziellos vor sich hin, einige überflüssige Nebenschauplätze wirken wie Füllmaterial. Und leider darf (oder kann?) ausgerechnet Jürgen Vogel nicht zeigen, welch guter Schauspieler in ihm steckt. Sein Blochin scheint nur eine Gemütslage zu besitzen – er ist immer angespannt und macht ein verkniffenes Gesicht.

Unschön ist auch, dass die Handlung allzu oft durch Anrufe auf seinem Smartphone vorangetrieben wird, da gäbe es sicher ein paar andere dramaturgische Mittel. Insgesamt überzeugt das Schauspielerensemble aber. Es ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass sie bei solch einem Vorzeigeprojekt so viele relativ unverbrauchte Gesichter engagiert und auch mal gegen den Strich besetzt haben.

2. Staffel in Planung

Empathie ist ein unpolitisches Gefühl. Manche erkennen in den Flüchtlingen sich selbst. Manche sehen in ihnen das Fremde, das die eigene Gruppe bedroht, der wiederum ihre Empathie gilt. In der taz.am wochenende vom 19./20. September 2015 gehen wir der Frage nach, wie Mitgefühl funktioniert, was es bewirkt und ob daraus Politik werden kann. Außerdem: Selbstfahrende Autos sind gut für die Umwelt, drängeln nicht und sind nie betrunken. Retten sie die die Autoindustrie? Und: Christian Walliser betreibt mit seinem Mann Jan einen Raubtierhof im Schwarzwald. Das alles gibt's am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Hervorgehoben seien Thomas Heinze (ja, wirklich!), Jördis Triebel als einflussreiche Staatssekretärin (vielleicht sollte man mit ihr mal ein deutsches „House of Cards“ wagen?) sowie Maja Schöne, die Blochins an Multipler Sklerose erkrankte Frau spielt. Positiv bleibt ebenfalls festzuhalten, dass Glasner die Stadt Berlin gelungen in Szene setzt, auf tausendfach abgefilmte Locations verzichtet. Ihm ist ein internationaler Look gelungen, die Serie wirkt nie provinziell.

„Blochin“ ist nicht der ganz große Wurf geworden und von einem Meisterwerk wie „The Wire“ meilenweit entfernt. Dennoch entwickelt die Serie immer wieder einen erzählerischen Sog und hebt sich allein durch ihren komplexen Ansatz in Bezug auf Figuren und Story von vielen deutschen Produktionen ab. Vielleicht lernen die Verantwortlichen aus ihren Fehlern. Potenzial hat „Blochin“ allemal. Eine zweite Staffel mit acht Folgen ist in Planung, Matthias Glasner schreibt bereits an den Büchern.

Das so mutig gewordene ZDF bringt eine Fortsetzung hoffentlich auch dann, wenn die Quoten der ersten Staffel nicht ganz so toll ausfallen sollten. Einen Versuch wäre es wert.

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