Zu Fuß im Gebirge: Eine blauschwarze Stille

Die Mehrheit der Menschen will im Sommerurlaub an den Strand. In den Bergen, abseits der Zivilisation, kann man sich aber im Verzicht üben.

Hang einer Bergkette in der Nacht im Vollmondlicht

Urlaub in den Bergen ist nichts für Warmduscherinnen Foto: Pellinni/imago

Wenn ich in den Sommerurlaub fahre, ist mein Schlaf kurz und wird oft unterbrochen. Ich esse wenig und meistens das Gleiche. Oft kehre ich mit verfilztem Haar, Schrammen und blauen Flecken zurück. Und doch bin ich so froh und leicht, wie man sich das wünscht, wenn jemand aus dem Urlaub kommt.

Wenn ich in den Sommerurlaub fahre, zieht es mich dorthin, wo die anderen nicht sind. Und wo auch nichts ist, das mich an sie erinnert. So ein Ort ist nicht leicht zu finden, so ein Ort ist unzugänglich, rau und wild. Da ist Gestrüpp und Getier und der Körper muss arbeiten, um ihn zu erreichen. Oft liegt dieser Ort viele hundert Meter über dem Meeresspiegel, manchmal mehr als zweitausend.

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Dort oben, wenn durch das Blauschwarz der Nacht die Konturen der Wildnis unscharf werden, drehe ich eine letzte kleine Zecke aus dem Bein, puste nochmal in das Ventil meiner Isomatte, dann schlüpfe ich in den Schlafsack.

Wie eine dicke Raupe liege ich da, reglos in der Stille, die mit dem Blauschwarz den Berg umarmt. Mein Körper klebt, jetzt spüre ich: Ich bin hier hochgelaufen, die letzten Höhenmeter haben die Waden gebrannt, ist der Schweiß in dicken Tropfen meinen Körper runtergerannt.

„Dieser Berg ist ein Gebrösel“

Eine Eule gleitet über mich hinweg, geräuschlos. Meine Gedanken kreisen um den Ort. Wem gehört der Berg, der Wald, der Gipfel, die Wiese? Der Eule? Passt ihr das, dass ich hier liege? Was, wenn das alle machen würden? Oder wird das, was ich hier tue, für immer ein heimliches Privileg der Freizeit-Unzivilisierten bleiben?

Neulich las ich auf GoogleMaps eine Rezension, da schrieb eine Lola: „Dieser Berg ist ein Gebrösel“, drei von fünf Sternen hat sie für ihn übrig. Die Aussichten sind gut, auch was das betrifft, denke ich. Mein Körper wird schwer, ich dämmere davon.

Etwas knackt, etwas raschelt. Nicht direkt neben mir, aber auch nicht weit weg. Ich bin hellwach, setze mich auf, nur ein paar Zentimeter. Ich habe keine Angst, aber ein bisschen kribbelt es überall. Ich sehe nichts, aber ich höre. Wieder ein Rascheln, dumpfe Tritte, der Boden vibriert, fast bis zu mir. Es muss schwer sein, dieses Tier. Dann wieder Stille. Über mir, sehe ich jetzt: Eine Trilliarde Sterne. Mein Körper wird schwer, ich dämmere davon.

So geht das noch ein, zwei Mal, bis das Lichtgemach das Blauschwarz ablöst. Die Ohren sind kalt, alles ist klamm. Ich schäle mich aus dem Kokon, laufe ein paar Schritte, schaue runter – zu den anderen, unten im Tal, wo die Straße ist, die Stromleitung, Wasser aus dem Hahn und ein Supermarkt, ein Bäcker, eine Bar. Sie genießen die Errungenschaften unserer Zivilisation. Aber was für ein Glück, denke ich – ich entbehre nicht, ich verzichte!

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Redakteurin und Reporterin für die wochentaz. Jahrgang 1988, Studium der Sozial- und Kulturanthropologie, Ausbildung an der Reportageschule Zeitenspiegel. Im Ressort der wochentaz zuständig für lange Lesestücke zu Gesellschaft und Politik.

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