Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen: Im Zweifel für die Klangkunst

Über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reden: Das hätte spannend werden können, Krisen gibt es ja genug. Stattdessen nur Gejammer.

ein großer Fernsehbildschirm steht auf einem schicken Sideboard, links wurde ein Pflanze drapiert, rechts ein schicker Hocker mit einem Bluemtopf

Streit bei den Machern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber bei jungen Menschen bleibt der Fernseher meistens aus Foto: Thamrongpat Theeratha/picture alliance

Ein paar hundert Medienschaffende diskutierten kürzlich im hellen Saal der Akademie der Künste zu Berlin über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Welche Lösungen gibt es für die Transformation des Programms ins Digitale? Wie werden die aktuellen Strukturprozesse das Kulturverständnis einer demokratischen Gesellschaft verändern?“

Transformation, Strukturprozesse – es klang nach Orientierung in dieser Umbruchszeit, in der die ökonomische Basis der Gesellschaft bebt und unsere Lebensweise zur Disposition steht. Wie könnte der Rundfunk in die Offensive gehen, eingeklemmt zwischen Populisten, die die ARD-Sender kleinschrumpfen wollen, und der rechten Kampfpresse, die laufend den „Staatsfunk“ denunziert. Und über allem dräut die Konkurrenz mit den kommerziellen Plattformen.

Bei den Jungen hat der lineare Programmfunk praktisch kein Publikum mehr. Die Musik holen sie sich von Spotify, den Spaß finden sie auf Tiktok, Ernstes suchen sie sich aus den Mediatheken zusammen. ARD und ZDF bemühen sich seit Jahren um Präsenz, aber eine nichtrepräsentative Umfrage unter jungen Bekannten ergibt: die Sendungen von „funk“ etwa sind weithin unbekannt. Und etwas so Schlaues wie „jung und naiv“ oder „MaiLab“ kriegen die Sender bis heute kaum hin.

Über dies alles hätten die Kulturträger in der Akademie reden können. Stattdessen hielten drei Au­to­ren (Katrin Röggla, Andres Veiel, Oliver Sturm), dazu der Geschäftsführer des Kulturrates, Olaf Zimmermann, eine Art Tribunal über den ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke. Sie klagten über gestrichene Sendeplätze und Etats, die Zerstörung klassischer Formen wie Hörspiel und Essay. Gniffke hatte leichtes, wenn auch kein populäres Spiel, weil er die Zahlen kannte. Ja, es würden Mittel umgeschichtet, vom Linearen ins Digitale, und das koste Geld, und ja, es fielen alte Sendeplätze weg und es entstünden neue, was schmerzlich sei für alle über 60, aber um der Abwehrkämpfe gegen die internationalen Plattformen mit ihrer Massenware willen sei das alternativlos.

Die Frage ist: Wie kann man Menschen erreichen, die keinen Kanon mehr kennen und kein Radio benutzen?

Die Diskussion rutschte ins Gespenstische ab. Die Frontstellung ist immer dieselbe: Die Intendanten wollen das System zukunftsfähig machen, sie müssen sich vor der Politik legitimieren und zeigen deshalb auf die Nutzerzahlen. Kulturredakteure und Autoren fordern eine Bestandsgarantie für Hörspiel, Klangkunst, Essays und Literatur. Auch an diesem Abend kam es nicht zu einem konstruktiven Dialog über die Frage: Wie sähe ein niveauvolles, plattformtaugliches Massenprogramm aus; wie kann man die Inhalte und Themen an Menschen weitergeben, die keinen Kanon mehr kennen und kein Radio benutzen?

Wichtiger noch: Wenn die Mission des Radios der Nachkriegsjahre die Befähigung zur Demokratie und die Weitergabe des kulturellen Erbes inklusive riskanter Experimente war – was muss sich dann ändern, was soll bleiben, wenn die Gesellschaft in der Zeitenwende steckt und die Feinde der Demokratie die Hegemonie über die Verbreitungskanäle gewinnen?

Mit einem Plädoyer für die gemeinsame Eroberung des digitalen Raums kam der Intendant des SWR jedenfalls nicht durch. Sein Hinweis auf die Publikumserfolge von Serien über Banksy oder die Geschichte des Comics wurde mit akustischem Naserümpfen quittiert. Zustimmung war hingegen zu spüren, als sich Olaf Zimmermann zur Forderung aufschwang, zur Sicherung der Kultur sollten am besten auch die freien Mitarbeiter Planstellen bekommen. Andres Veiel forderte mehr Eingriffsmöglichkeit für die Rundfunkräte; sie müssten jetzt das Hörspiel, die Klangkunst, die Berichte über Premieren und die Literaturkritik beschützen.

Das aber ist die falsche Adresse: Den Interessenvertretern, vom Landvolk bis zu Industrie, von Musikern zu den Naturschützern, und vor allem den Parteien mehr Einfluss aufs Programm zu geben, führt mit Sicherheit nicht zu mehr Freiräumen (oder Geld) für Gewagtes, Minoritäres und Scharfes.

Mehr Macht für die Produzenten

Die Klagen darüber, dass gewohnte Formen verschwinden, sind unfruchtbar, weil sie gewöhnlich immer erst laut werden, wenn die „Hierarchen“ eine neue Reform ausrufen. Außerdem: lebt nicht auch die Kultur von schöpferischer Zerstörung? Und die Qualitätskriterien für Journalismus, Kultur und gute Unterhaltung können nicht von außen definiert werden: sie müssen aus der Produktion selbst kommen.

Wie soll das gehen in einem so hierarchischen System? Nun, beim Gerangel zwischen Politikern, ARD-Mächtigen und Rundfunkräten kommt eine Gruppe gar nicht vor: die Produzenten selbst, die Redakteure. Es gibt nur schwache Redaktionsstatute, und das nicht überall. Redakteursausschüsse haben kaum eine Möglichkeit, sich im Rundfunkrat hörbar zu machen. Vor allem aber: Die Leidenschaft für Mitbestimmung ist gering. Vielleicht könnten echte Einwirkungsmöglichkeiten sie wecken. Und die Forderung läge eigentlich nahe: Um bei der Versorgung mit notwendigen Gütern das Gewinnstreben und das allgemeine Interesse zu balancieren, wurde nach dem Krieg die Montanmitbestimmung eingeführt, benannt nach dem Industriezweig, in dem das Modell zuerst entwickelt wurde. 50 Prozent der Aufsichtsräte stellen die unmittelbaren Produzenten. Sollte nicht die Produktion von Inhalten ebenso gegen Einzelinteressen gesichert werden?

Warum also nicht den Redakteuren und Journalisten eine starke Position in den Rundfunkräten geben? Es würde die Kompetenz der Räte heben, die Intendanten gegenüber der Politik stärken und die Medienkontrolle den Verbandseliten entwinden. Das klingt angesichts der Kräfteverhältnisse utopisch, aber wer das Radio retten will, sollte nicht zu wenig fordern. Große Lösungen zu diskutieren, das wäre einer Akademie jedenfalls eher angemessen gewesen als das Jammern über den Tod der Klangkunst und die Einbußen bei Wiederholungshonoraren.

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lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

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