Zukunft des Flughafens Tempelhof: „Eine Generationenaufgabe“

Warum dauert die Sanierung des ehemaligen Flughafengebäudes so lange? Ein Gespräch mit der Ex-Geschäftsführerin der Tempelhof Projekt GmbH.

Gebaut als Prestigeprojekt der Nazis durchlebte der Flughafen verschiedenste Nutzungen Foto: Anonym

taz: Frau Heim-Wenzler, bis vor Kurzem waren Sie als Geschäftsführerin der Tempelhof Projekt GmbH unter anderem für die Sanierung und den Betrieb des Flughafengebäudes verantwortlich. Seit fast 15 Jahren ist der Flughafen geschlossen. Doch noch immer steht ein großer Teil der 200.000 qm Nutzfläche leer. Warum dauert die Sanierung so lange?

67, Architektin, war sechs Jahre lang Geschäftsführerin der Tempelhof Projekt GmbH. Am 31. Juli verabschiedete sie sich in den Ruhestand.

Jutta Heim-Wenzler: Ich habe relativ früh gesagt, dass die Sanierung ein Generationenprojekt sein wird. Das Gebäude hat die Größe eines Stadtquartiers – es ist quasi eine Stadt in der Stadt. Es ist das größte denkmalgeschützte Gebäude Europas. Leider wurde es seit Jahrzehnten mehr oder weniger auf Verschleiß genutzt, weil man vorhatte, den Flughafen zu schließen. Die Folgen haben wir bis heute.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass bislang kaum etwas passiert ist.

Die grundlegende Voraussetzung für die Sanierung war die Entwicklung eines Konzeptes, das die Frage beantwortet, was das Land Berlin mit dem Gebäude vorhat. Mit der Vision 2030+, die wir 2020 erarbeitet haben und die vom Senat bestätigt wurde, haben wir nun ein robustes Nutzungskonzept.

Eine Mischung aus Kunst, Kultur, Büroflächen und Eventspace, die dort entstehen soll.

Die Tempelhof-Denkmalwerkstatt, unter dem Dach der Tempelhof Projekt GmbH, hat am Donnerstag die Ergebnisse zweier Experten-Workshops präsentiert, die nun auch online einsehbar sind. Dabei ging es zunächst um Erfahrungen ähnlich großer und schwieriger Projekte und zuletzt um die klimaneutrale Zukunft des Gebäudes.

thfx-denkmalwerkstatt.de

Photovoltaikanlagen auf den Dächern des 1,2 Kilometer langen Gebäudes ist das Ziel, das auch mit dem Denkmalschutz kompatibel ist. Bis 2030 könnte sich das Flughafen­gebäude auch mithilfe von Wärmepumpen und Energiespeichern autark versorgen. Erster Schritt ist die Sanierung der Betondecken der Hangars, die seit diesem Jahr läuft.

Fabian Schmitz-Grethlein, seit August neuer Geschäftsführer der Projekt GmbH, möchte einen „Beitrag zum klimaneutralen Umbau Berlins“ leisten. Dafür hofft er auf Mittel aus dem Klima-Sondervermögen des Senats.

100 Jahre Tempelhof - 100-stündiges Programm ab dem 6. Oktober. (epe)

Das ist aber erst ein Anfang. Als der Flughafen geschlossen wurde, wusste niemand, wie es um den Bauzustand bestellt ist. Die Bauzustandserfassung ist die Voraussetzung für die Instandsetzung und muss sehr gründlich gemacht werden. Danach braucht es eine Planung, ein Genehmigungsverfahren und ein Haushaltsverfahren, das die Finanzierung sichert. Das sind alles Themen, die einen langen Zeitvorlauf brauchen, bevor tatsächlich sichtbare Sanierungsmaßnahmen begonnen werden können.

Gerade wurde mit der Eröffnung des Towers am Südende die Sanierung eines ersten, wenn auch nur kleinen Teils fertiggestellt. Welche Herausforderungen gab es dabei?

Das Gebäude ist eigentlich robust geplant und gebaut. In den ersten Kriegsjahren wurde die Baustelle noch weitergeführt, wurde gegen Kriegsende jedoch gestoppt. Bei der Sanierung des THF-Towers haben wir gesehen, dass die Planungen somit mit den Ausführungen nicht mehr übereinstimmen. Die verwendeten Materialqualitäten haben sich im Kriegsverlauf ebenfalls sehr verändert. Von außen macht das Gebäude einen massiven Eindruck, mit den Steinverkleidungen, aber dahinter findet sich ein leichtes Stahlgerüst. Das war in der Entstehungszeit eine ganz moderne Baumethode mit relativ kurzer Bauzeit. Wahrscheinlich zum Ende des Krieges, als vieles nicht mehr so koordiniert lief, wurden zum Teil wieder starre Ausmauerungen ausgeführt. Das heißt, da kommt ein biegsames System mit einem starren zusammen, was zu Problemen in der Statik führt. Verkürzt gesagt, man weiß nie, was einen hinter einer Wand erwartet.

Oft wird ja der Denkmalschutz als große Bremse bei der Sanierung aufgeführt. Wie gehen Sie mit den Auflagen um?

Tempelhof ist einer der Orte in Berlin, der die europäische Geschichte erlebbar macht und das an jeder Ecke des Gebäudes. Es handelt sich um ein ganz besonderes Baudenkmal mit sehr vielen zu bewahrenden Zeitebenen. Wir haben hier die Planungszeit, die Erbauungszeit, die alliierte Zeit, die Luftbrücke, den Zivilflughafen und nicht zuletzt auch die Unterbringung von Geflüchteten. Diese Zeitschichten sind für kommende Generationen erhaltens- und schützenswert. Genau das macht es so interessant, aber auch teilweise schwierig. Mit der Denkmalpflege haben wir einen regelmäßigen und konstruktiven Austausch. Es passiert hier nichts ohne deren Einvernehmen und ohne Abstimmung.

Ein derartiger Aufwand kostet viel Geld. 2021 haben Sie Kosten von zwei Milliarden Euro in den Raum gestellt. Wie sieht es jetzt angesichts der angespannten Haushaltslage mit der Finanzierung aus?

Zu unseren Aufgaben zählt auch, die vermieteten Flächen – das sind etwa zwei Drittel des Gebäudes – trotz des schwierigen Zustands weiterhin betriebssicher und funktionsfähig zu halten. Dafür beantragen wir Haushaltsmittel, zur Aufrechterhaltung des Standorts und für die Sanierungen oder den Ausbau der Flächen. Leider sind die Mittel für die nächsten Jahre stark gekürzt worden. Insofern bleibt es bei einem langsamen Vorankommen. Je länger es dauert, umso teurer wird es. Problematisch ist, dass wir einen Zustand, der völlig unzufriedenstellend ist, aufrechterhalten müssen. Das kostet viel Geld und bringt für die Entwicklung zugunsten des Standortes und der Stadt Berlin nichts.

In Berlin gibt es riesigen Bedarf an Ateliers, Kunst- und Kulturflächen. Gleichzeitig sollte aus ökologischer Sicht Neubau vermieden werden. Ist es da nicht fahrlässig, die Sanierung länger als nötig hinauszuzögern?

Das ist absolut richtig. Im Koalitionsvertrag steht, Bestandsnutzung geht vor Neubau. Das ist in der jetzigen Situation, in der wir das Klima schützen müssen, die richtige Entscheidung. Vor einem Neubau muss man immer prüfen, ob es nicht eine nutzbare Bestandsfläche gibt. Der Flughafen Tempelhof hat noch viele unsanierte Flächen, die noch nicht in die Nutzung gebracht worden sind.

Es gibt viele engagierte Initiativen, die Ideen für die Nutzung haben, sich aber nicht gehört fühlen. Warum bezieht man solche Akteure nicht stärker ein?

Das ist ein schwieriges Thema. An Ideen mangelt es nicht. Es mangelt an der Umsetzung. Hier müssen Grundsatzthemen angegangen werden. Es müssen Fragen beantwortet werden wie: Wie ist der Zustand? Welche Nutzungen brauche ich? Kann die denkmalgeschützte Substanz das leisten? Wie aufwendig ist die Sanierung? Wie beeinflusst das die Versorgungsinfrastruktur des Gebäudes? Wie finanziere ich das? Wie kriege ich eine Genehmigung? Das sind sehr umfangreiche und fachspezifische Aufgaben, die die Zivilgesellschaft nicht allein übernehmen kann.

Aber wo liegt das Problem, Hangars für Zwischennutzungen freizugeben? Verschiedene Initiativen, wie „Transformation Haus und Feld“ hatten schon Interesse angemeldet.

Die Flächen, die baurechtlich nutzbar sind, nutzen und vermieten wir, auch wenn es Funktionseinschränkungen gibt. Eine Zwischennutzung, egal welcher Fläche, braucht eine Baugenehmigung. Die erfordert Brandschutz und Tragsicherheit. Wenn ich diese zwei Grundlagen nicht erfüllen kann, steigen die Kosten immens, da somit jede Zwischennutzung eine vorherige, vollständige Sanierung erfordert. Die Nutzung unsanierter Flächen ist ausschließlich mit Brandwachen erlaubt, und diesen enormen personellen Aufwand kann keiner finanzieren. Sind die Veranstaltungen im Herbst oder Winter, kommen die Kosten für die Beheizung der riesigen Hangars hinzu. Mit dem Land Berlin war bereits abgestimmt, die Hangars 2 und 3 für Initiativen freizugeben und die Kosten zu übernehmen. Zeitgleich ergab sich jedoch der dringende Bedarf für die Unterbringung von Geflüchteten.

Gibt es Beispiele für gelungene Zwischennutzungen?

Das kleine Bistro Orville’s am Platz der Luftbrücke. Wir haben lange versucht, für das alte Offizierskasino eine Nutzung zu finden, die Lebendigkeit reinbringt, wo alle, die am Standort arbeiten, einen Kaffee trinken oder Mittag essen können. Jedoch kann das Bistro nicht durchgehend öffnen, da die Kundenströme noch nicht ausreichend sind. Der belebtere Stadtteil ist auf der anderen Seite des Platzes. Dessen geplante Umgestaltung und die der Straßenführung sowie die Neugestaltung der Flächen vor dem Haupteingang des Flughafengebäudes werden die notwendige Belebung durch mehr Passanten fördern.

Was bräuchte es noch, um den Ort mehr zu beleben?

Was uns noch fehlt, ist eine Nutzung für das Herzstück in der Mitte des Gebäudes. Es müsste eine Nutzung sein, die die Berlinerinnen und Berliner gerne aufsuchen, eine Verbindung von der Stadt, vom Hauptzugang durch die Haupthalle aufs Feld und zurück. Eine Nutzung, die die Möglichkeit bietet, anderen Menschen zu begegnen – wie zum Beispiel die Zentrale Landesbibliothek. Sie würde dafür sorgen, dass die ­Politik ganz anders dahinter­stehen könnte und auch die Finanzierung leichter zu sichern wäre. Bis dahin wird die Entwicklung des Standortes nicht leicht sein.

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