Zwei Bücher zu Islam und Integration: Werdet vernünftig

Aladin El-Mafaalani und Ahmad Mansour bieten in ihren Büchern gute Argumente gegen religiöse und völkisch-nationalistische Extremisten.

Zwei Regenbogenfarbige Turnschuhe auf grauem Asphalt

Die wahren Grenzen verlaufen zwischen Oben und Unten Foto: Unsplash/Clem Onojeghuo

Die Vernünftigen sind noch nicht ausgestorben, jedenfalls unter den Pass-Deutschen. So würden Rechte die beiden Autoren etikettieren: den „Deutsch-Israeli“ Ahmad Mansour – mit arabischem Herkunftshintergrund, fundamentalistischer Vergangenheit und therapeutischer Ausbildung – und den im Münsterland geborenen „Deutsch-Syrer“ Aladin El-Mafaalani, der in Bochum Soziologie studiert hat, Lehrer wurde und seit Kurzem in einem NRW-Ministerium Integrationspolitik macht. Vernünftig ist in Sachen Migration das Paradox, warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt, das der Soziologe vorführt, und radikal die Position in der Mitte, die der Psychologe „gegen falsche Toleranz und Panikmache“ bezieht. Weil beide ohne Jargon und streckenweise unterhaltsam schreiben, verdienen sie viele Leser in einem nervös gewordenen Land, das seine erfolgreiche Einwanderungsgeschichte vergessen zu haben scheint und einer rechtsradikalen Minderheit die Meinungsführerschaft zu diesem Thema übertragen hat.

Beide Autoren berichten aus persönlichen Erfahrungen. „Natürlich gibt es immer wieder Menschen“, schreibt Mansour, „die mir zweifellos das Gefühl geben wollen, ich würde nicht dazugehören. Ich bin inzwischen zum Glück stark genug, ihnen klarzumachen, dass sie ein Problem haben, nicht ich.“ Dieses Selbstbewusstsein, das sie zu gefragten Talkshowgästen, Interviewpartnern und Podiumsrednern macht, ist geradezu ein Ausweis gelungener Integration, die eben nicht allen Alteingessenen gefällt.

Weil dabei unvermeidliche Probleme und vermeidbare Fehler aus falscher Rücksicht auf verletzte Gefühle und aus Angst vor dem Beifall von der falschen Seite nicht klar benannt wurden, sprechen Mansour und El-Mafaalani „Klartext“. Sie interessieren weniger akademische Debatten, bei denen sie problemlos mithalten könnten, als praktikable, nachhaltige Lösungen, wo der Pseudowissenschaftler Sarrazin elende Vorurteile aufwärmt und der „postmigrantische“ Diskurs oft um den heißen Brei redet.

Dass Einwanderung anstrengend für alle Seiten ist, war die Botschaft, als wir um 1990 von „Multikulti“ sprachen. Ab 1989 wurde das erste Amt für multikulturelle Angelegenheit von Daniel Cohn-Bendit in der Stadt Frankfurt am Main geleitet. Doch wie heißt es so schön: we never promise you a rosegarden. (Die Schnulzen unter diesem Titel sangen andere.)

„Rassismus kann sich verstärken, weil Integration gelingt“

El-Mafaalani greift nun ebenfalls auf die von Georg Simmel vor hundert Jahren begründete Konfliktsoziologie zurück. Er demonstriert an vielen Beispielen, dass es keine Leitkultur, nur eine Streitkultur gibt. Mansour berichtet eindrucksvoll von Erfahrungen an sozialen Brennpunkten, in Moscheen und Gefängnissen. Wer eine Assimilation ohne Konflikte erwartet hat, versteht Gesellschaft nicht; ihre friedliche Austragung ist der einzige Wege zur Integration. Das war „Soziologie als Aufklärung“ in den 1960er Jahren, als Deutschland weltoffener wurde, und heute wieder, wo um einen starren Identitätsbegriff reaktionäre Gesellschaftsmodelle gestrickt werden.

El-Mafaalani vermag seine preisgekrönten Forschungen in satte Paradoxien zu kleiden: „Wenn wir scheitern, dann an unseren Erfolgen“, sagt er. Oder: „Rassismus kann sich verstärken, weil Integration gelingt“; „Konflikte als Begleiter des Zusammenwachsens“; „Diskriminierung wird ein Problem, weil es weniger Diskriminierung gibt“. Und: „Es wird – weltweit – alles besser, und deshalb nimmt die Migration zu.“

Aladin El-Mafaalani: „Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“. KiWi-Paperback, Köln 2018, 240 Seiten 15 Euro

Er prägt Merksätze: „Frauen mit Kopftuch streben nach Bildung und Berufstätigkeit, und wir verbieten es ihnen mit dem Hinweis auf Unterdrückung. Wer findet den Fehler?“ Gern benutzt er die Metapher des Tisches. „Immer mehr und immer unterschiedlichere Menschen sitzen mit am Tisch und wollen ein Stück vom Kuchen. Wie kommt man eigentlich auf die Idee, dass es ausgerechnet jetzt harmonisch werden soll? Diese Vorstellung ist entweder naiv oder hegemonial. Das wäre Multikulti-Romantik oder Monokulti-Nostalgie. Die Realität ist ganz offensichtlich eine andere.“ Und doch muss man sich immer wieder an einem Tisch versammeln.

Soziale Unterschiede sind El-Mafaalani wichtiger als kulturelle oder gar religiöse; die Patentformel „Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland“ löst er zu der offenen Frage auf: Welcher Islam? Eine säkulare Ordnung setzt eine enorme Selbstaufklärungen der Muslime voraus, würde sie aber aus der fatalen Vormundschaft ihrer politisch-religiösen Führer befreien.

Die islamophobe Gegenseite gleicht den Islamisten in vielem

Noch kritischer geht der „religiös musikalische“ Mansour mit starrsinnigen Glaubensbrüdern ins Gericht. Er hat selber die Überpolitisierung des Religiösen erst mitgemacht und dann ihre fatalen Folgen erlitten. Niemand soll behaupten, deren Radikalität habe mit dem Islam „nichts zu tun“, aber niemand sollte ausgerechnet den Islamisten das Auslegungsmonopol zubilligen.

„Die Politik darf es sich nicht weiter einfach machen und nur mit den islamischen Verbänden oder konservativen Muslimen zusammenarbeiten, denn der Islam ist vielfältig. Zudem sind viele konservative Organisationen vom Ausland gesteuert und stehen unserer Demokratie ambivalent gegenüber. Staat und Politik sollten deshalb produktive, konstruktive Ansätze dieser Debatten unterstützen und fördern. Es geht darum, so schnell wie möglich in Deutschland und Europa ein Islamverständnis anzubieten, das ohne Wenn und Aber hinter Demokratie, Gleichberechtigung und Menschenrechten steht. Das ist möglich. Viele gut integrierte Muslime beweisen es Tag für Tag. Doch es müssen noch mehr werden – am besten alle.“

Samy Deluxe

„Wenn man nicht eindeutig als Weißer zu identifizieren ist, erlebt man keinen Tag ohne Rassismus“

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Mit am Tisch sitzen, um das Bild aufzugreifen, Vetospieler und Spielverderber beider Seiten, die ein rassistisch und/oder religiös fundierter Autoritarismus eint wie verfeindete Zwillinge. Denn die islamophobe Gegenseite gleicht den Islamisten in vielem aufs Haar. Ein prominenter Leidtragender wie Rapper Samy Deluxe bekannte gerade stellvertretend für viele: „Wenn man optisch nicht eindeutig als Weißer zu identifizieren ist, erlebt man in Deutschland keinen Tag ohne Rassismus.“ Und unter Minderheiten und ihren wohlmeinenden Stellvertretern gibt es den nicht minder tumben, mit keiner Diskriminierungserfahrung zu beschönigenden Gegenrassismus.

Ahmad Mansour: „Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, 303 Seiten, 20 Euro

Beide Autoren kommen (Simmel!) zum Schluss, dass die Fronten nicht zwischen Islam und Abendland, Bio- und Passdeutschen, Alteingesessenen oder Flüchtlingen verlaufen, sondern zwischen „oben“ und „unten“ in einer farbiger gewordenen Klassengesellschaft. Zwischen Klerikern und Gläubigen oder hierarchisch-autoritären und demokratisch-egalitären Vorstellungen von Lebenswelten. Hier gibt es eklatante Überschneidungen von Islamisten wie Islamophoben. Gegen beide sollten sich Bio- wie Passdeutsche richten – und auf soziale Differenzierung setzen.

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ist Professor für Politikwissenschaft und mit Patrizia Nanz Autor des Buches „Die Konsultative. Mehr Demo­kratie durch Bürgerbeteiligung“(2016).

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