Zwischenbilanz einer neuen Technologie: Im KI-Taumel

Nach dem ersten Hype um die KI-Anwendung ChatGPT ist einiges im Gange. Entwickler setzen auf einen Wissenschaftsschub durch eine Superintelligenz.

Ein Mann macht eine Geste mit seiner linken Hand.

Sam Altman, Geschäftsführer (CEO) von OpenAI ist Erfinder der KI-Software ChatGPT Foto: Sven Hoppe/dpa

„Wenn diese Technologie schiefgeht, dann wird sie ziemlich schiefgehen.“ So besorgt zeigte sich Sam Altman, der CEO von OpenAI, im Mai 2023 bei einem Hearing im US-Senat. Zwei Monate zuvor hatten ein paar tausend Wissenschaftler nach einem Moratorium in der KI-Forschung gerufen und nach Regulierung durch die Politik – weil diese Technologie den Weltfrieden, die Demokratie, ja die Zivilisation zerstören könnte.

Realisten hielten die Moratoriumsidee für naiv, ökonomische Zyniker für einen Werbetrick oder den Versuch, den Vorsprung der großen Konzerne zu sichern. Das Forschen, das Investieren und das Vermarkten jedenfalls ging munter weiter. Millio­nen von Menschen staunten über die Fähigkeiten von ChatGPT, ließen die KI Gedichte schreiben, produzierten mit Dall-E komische Fotos vom Papst im Anorak, und Altman ging auf Akquise.

Allmählich veralltäglichte sich das technologische Charisma. Lehrer lernten, wie man Eigenleistungen der Schüler erkennen kann, Versicherungen machten sich ans Rationalisieren. Lidl, SAP und Bosch bauen mit 500 Millionen Euro ein KI-Zentrum in Heilbronn, damit Europa nicht untergeht, und Microsoft investiert 3,2 Milliarden für Rechenzentren in Deutschland. In den USA will die Firma allerdings bis 2030 für 100 Mil­liarden neue Zentren bauen, das Projekt trägt den schönen Namen Stargate.

In Hiroshima (!) bekundeten die G7-Lenker ihre Absicht, die Fortschritte im Drohnenkriegswesen zu zügeln. Der Luftraum über Gaza und der Ukraine zeigt: so leicht wird das nicht gehen. Die EU regelt die Algorithmen und die sozialen Netzwerke, der Präsident der USA erlässt eine Executive Order zur Kontrolle der KI-Modelle – aber in allen diesen Fällen wartet die Welt auf Ausführungsbestimmungen und Planstellen.

Werden bald Billionen in ein Menschheitsexperiment gesteckt, verantwortet von jugendlichen Milliardären?

Aufs Ganze gesehen flaut die Zahl der täglichen Meldungen über automatische Hunde, die Äpfel pflücken, KI-Einsatz in kleinen und mittleren Betrieben, Gesichtserkennungs-KI für Soldaten und Bademeister allmählich ab. Die Sprachsysteme halluzinieren immer noch, nur die Nerds fiebern der nächsten Revolution entgegen. Es gibt schließlich noch andere Aufreger genug. Analoge.

Aber irgendetwas geht seinen Gang. Dieser leicht unheimliche Gedanke stellte sich ein, als ich kürzlich ein langes Gespräch sah, das der Blogger und Informatiker Lex Fridman mit Sam Altman führte. Fridman versuchte, dem OpenAI-Chef Einzelheiten über GTP-5 zu entlocken. Kommt es? Und wann? Und die Antwort: „Weiß man, was der große Durchbruch sein wird? Ein größerer Computer? Ein neues Geheimnis? Irgendwas sonst? Es ist all dies zusammen. Ich glaube, die Stärke von OpenAI besteht darin, 200 mittelgroße Entwicklungen zu multiplizieren zu einer gigantischen Sache.“

Die Power der Weltmaschine

Und das „giant thing“, das aus all diesen Teilresultaten „emergiert“, also entsteht, das wird, so die Überzeugung, eines mehr oder weniger fernen Tages AGI werden, die allgemeine künstliche Intelligenz. Im Halbdunkel des Studios redete Altman über diesen Heiligen Gral der Informatiker, die Superintelligenz, die einen ungeheuerlichen Schub in der wissenschaftlichen Erkenntnis der Welt auslösen wird. Die selbsttätig lernen wird, weil sie durch Roboter und ihre Sensoren Erfahrungen mit der physikalischen, der wirklichen Welt macht. Sich selbst Experimente ausdenkt, kurz, den Erkenntnisprozess der Menschheitsgeschichte automatisiert, die ungelösten Aufgaben der Mathematik bearbeitet und die Rätsel des Universums angeht. „To become smarter“, das ist der Antrieb für Altman, und dazu gehört auch der Wunsch nach einer Art persönlichem Assistenten, der alle Gedanken, alle Erfahrungen und Erinnerungen des eigenen Lebens parat hält, das eigene Leben verbindet mit dem Weltwissen.

Die Computerpower, die für eine solche Weltmaschine mit ihren Milliarden von Angeschlossenen erforderlich wäre, überträfe alles bis heute Gedachte. Microsoft untersucht zurzeit die Möglichkeit, die gigantischen Rechenzentren der nächsten Welle mit Atomstrom zu betreiben, Altman denkt an Fusionsreaktoren der Firma Helion, und die kündigt an, im Jahr 2028 die ersten kleinen Exemplare an Microsoft zu liefern – Altman ist Aktionär. Effektiver Altruismus. Leider reagiere die Öffentlichkeit mit Massenhysterie auf Atom­energie, das führe zu einer Politisierung der Technologieentwicklung, in „Kriege zwischen links und rechts“, vor allem, wenn „die Dinge irgendwann dramatisch schiefgehen“ könnten. „Ich weiß noch nicht, wie das aussehen wird, aber so geht es eben mit allen folgenreichen Dingen, leider.“

Ein faustischer Rausch der Erkenntnis und des Machens?

Spätestens an dieser Stelle des Gesprächs zwischen den beiden Liebhabern des Fortschritts und der Menschheit überkam mich der Schwindel, den Vexierbilder auslösen: Wird da über Projekte geredet, von denen niemand weiß, ob sie jemals funktionieren können; reden sich hier zwei Wissenschaftler in einen faustischen Rausch der Erkenntnis und des Machens? Oder werden demnächst Billionen an Renditen aus unserer alltäglichen Nutzung digitaler Produkte in ein gigantisches Menschheitsexperiment gesteckt, verantwortet von jugendlichen Milliardären? Oder ist das alles Reklame, dicke Hose, Gemurmel von großen Kindern, die mit großem, ernsten Staunen mit digitalen Legosteinen hantieren – und zwischendurch halluzinogene Pilze kauen. Immerhin will Altman auf der Erde bleiben und nicht zum Mars, und sein Chef-Entwickler Sutskever träumt von einer Weltmaschine, die Frieden und Wohlstand schafft, mit einer KI, die er sich wie den Vorstand einer Weltgesellschaft vorstellt – mit sieben Milliarden im Aufsichtsrat.

Oder ist das alles Science-Fiction und ich hole einen Grusel nach, den ich nie hatte? Andererseits sagen mir auch seriöse Professoren aus der Max-Planck-Welt, dass die beiden Elemente ­Science und Fiction nun zusammenrücken. Irgendetwas geht seinen Gang. So heißt es im „Endspiel“ von Beckett.

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