Augen rechts

Soziologen schlagen Alarm, die Gesellschaft sei politisch „vergiftet“. Extremismusexperten schreiben sich seit Jahren die Finger wund. Jetzt beherrscht der braune Terror die Schlagzeilen. Aber der klammheimliche und unspektakuläre Vormarsch der Rechten bis in die bürgerliche Mitte wurde und wird kaum beachtet

von Meinrad Heck

Die entlarvenden Zeilen standen irgendwo zwischen einem Werbeblock für Duschkabinen und der Einladung zum nächsten Schlachtfest. Ein Pfarrer im Ruhestand durfte in der vorweihnachtlichen Adventszeit im CDU-Organ Blickpunkt der badischen Gemeinde Linkenheim-Hochstetten über die Fastenzeit philosophieren. Was er vielleicht besser nicht getan hätte.

Dem evangelischen Geistlichen kam dabei auch der islamische Fastenmonat Ramadan in den Sinn. Vor allem aber meinte er, ausdrücklich „junge Muslime“ beschimpfen zu müssen, „denen das Fasten nicht gut bekommt“, weil sie den Worten dieses christlichen Geistlichen zufolge „aggressiv werden und schneller ausrasten, wenn sie den ganzen Tag nichts gegessen haben“. Was solche Sprüche denn sollen, wollten ein paar kritische Leser der Grünen vom zuständigen Oberkirchenrat und der Christlich-Demokratischen Union wissen.

Der Oberkirchenrat ließ immerhin wissen, man sei mit dem Pfarrer i. R. „in der Sache im Gespräch“. Die Kritik aber auch direkt beim örtlichen CDU-Verband vorzubringen, dazu wollte der Oberkirchenrat ausdrücklich „ermutigen“. Aus der Unionsecke im badischen Linkenheim-Hochstetten jedoch kam keine Antwort. Auch nicht auf Anfrage der Kontext:Wochenzeitung. Dafür ist die Internetseite dieses unionschristlichen Ortsverbands erst einmal vom Netz genommen worden.

Auf ihr fand sich allerlei Informatives, Wichtiges oder Belangloses, aber auch so mancher aufschlussreiche Link. Etwa jener – jetzt abgeschaltete – Verweis auf eine Seite namens „Politically Incorrect“. Hinter dieser gern von Rechtsextremen gebrauchten Formulierung steckt eine Website von Islamhassern und Demagogen, die es heute auf bis zu 60.000 Besucher pro Tag bringt.

Den Medien blieb dies nicht ganz verborgen. „Das Netzwerk der Finsternis“, titelte der Kölner Stadt-Anzeiger. Und die Frankfurter Rundschau dokumentierte manch aufschlussreiche Formulierung auf dieser Website, die jetzt vorsichtshalber aus der Verweisliste jenes badischen CDU-Ortsverbandes genommen wurde. Nach dem Mord an einer schwangeren Ägypterin etwa äußerte ein Anonymus: „Mir tut es überhaupt nicht leid um diese verschleierte Kopftuchschlampe. Und noch dazu ein Moslem im Bauch weniger!“ Fassbar sind weder die Schreiberlinge noch die verantwortlichen Betreiber der Website. Sie sitzen offiziell in Hongkong.

Dem baden-württembergischen Innenministerium gilt jene „Politically Incorrect“-Seite (PI) als „eine der wichtigsten Plattformen der muslimfeindlichen Agitation in Deutschland“. Einer Ministeriumsantwort auf eine Anfrage der Grünen zufolge soll sich jene PI „inzwischen von einer rein virtuell agierenden Gruppierung hin zu einem Netzwerk mit real existierenden Ortsgruppen gewandelt haben“. Und: „Die PI-Ortsgruppen berichten auf der Webseite über die von ihnen entfalteten Aktivitäten wie Kundgebungen, Informationsstände und Mahnwachen. Laut eigener Aussage treffen sich diese Gruppen etwa einmal im Monat, um über aktuelle Themen der Islamisierung zu diskutieren. In Baden-Württemberg soll es laut Darstellung im Internet acht PI-Ortsgruppen geben.“

Ignoranz und Blindheit auf dem rechten Auge

Bis zu ihrer Enttarnung bleiben derlei Aktivitäten meist folgenlos. Und außer öffentlichem Protest gibt es selbst danach kaum wirksame Reaktionen. So viel Ignoranz und Blindheit auf dem rechten Auge hat in Baden-Württemberg Tradition, womöglich sogar System, wie ein kritischer Blick in die jüngere Historie zeigt.

Jahrelang durfte der einst mächtige CDU-Landesvater Hans Filbinger nach seinem unrühmlichen Abgang aus der aktiven Politik wegen seiner Nazi-Marinerichtertätigkeit in seiner rechtskonservativen Denkfabrik namens Studienzentrum Weikersheim ultrarechten bis hin zu rechtsextremen Vertretern ein Forum bieten. In dem Studienzentrum referierten ehemalige Bundespräsidenten, zahllose Minister. Sie gaben der Denkfabrik ein unverdächtiges Mäntelchen, waren über jeden Zweifel erhaben. Wie auch zahllose Landesminister und die jeweils amtierenden Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, die kraft Amtes Mitglied in Filbingers rechtskonservativer Denkfabrik waren.

Extremismusexperten und zahllose Journalisten hatten einen Ultrarechten nach dem anderen enttarnt, sie hatten Belege dafür geliefert. Geändert hatte sich seinerzeit nichts.

Hans Filbinger warb um einen Rechtsextremisten

Nur einmal und nur ganz kurz schrammte dieses Zentrum an einer politischen Katastrophe vorbei: als in den 90er-Jahren die Republikaner stärker wurden und einer der führenden Männer plötzlich im Kuratorium der CDU-nahen Denkfabrik saß. Rolf Schlierer hieß der Mann, der heute nicht mehr, aber damals sehr wohl eine politische Rolle spielen durfte. Nach außen hin gab sich Filbinger unerbittlich und feuerte den Rechtsextremisten, nachdem die Story peinlicherweise durch die Medien gegeistert war.

Worum es dem Altministerpräsident seinerzeit wirklich gegangen war, blieb der Öffentlichkeit zunächst verborgen. Er machte dem Rechtsextremisten einem Geheimprotokoll zufolge das Angebot, seine Verbindungen zu den Reps zu lösen, bei ihm zu bleiben, weil dieser Rechtsextremist in der CDU-nahen Denkfabrik – so wörtlich – „seine politischen Ziele viel besser verfolgen“ könne, wo doch Filbinger & Co „Einfluss auf die Parteien der Mitte“ nähmen. Erstmals wurde damit – belegbar – eine Strategie deutlich, die sich bis dato allenfalls vermuten ließ. Es war, und bleibt in ultrarechten Kreise bis heute, das entscheidende Ziel: Einfluss auf die Parteien der Mitte zu nehmen, die Lufthoheit über die Stammtische zu gewinnen, und das alles möglichst unverdächtig, still und leise.

Bis heute liegen dem baden-württembergischen Innenministerium über solche sogenannten rechtspopulistischen Szenen keine Detailkenntnisse vor. Denn sie „unterliegen keiner Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz oder durch die Polizei“. Rückschlüsse erlauben allenfalls detaillierte Studien namhafter Soziologen. Vor dem Hintergrund des braunen Terrors der Zwickauer Zelle erklärte unlängst der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer gegenüber Spiegel online, Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus seien in Deutschland wieder „auf dem Vormarsch“. Zehn Jahre lang hatten Heitmeyer und sein Team „Deutsche Zustände“ erforscht. Zehn Prozent aller Deutschen „denken durch und durch rechts“. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Spaltung kommt Heitmeyer zu dem Schluss: „Die Gesellschaft ist vergiftet.“