Englisch hui, Türkisch pfui

Bildung Eine Mannheimer Wissenschaftlerin erklärt auf Einladung des Bremer Rats für Integration, wie bei der Mehrsprachigkeit mit zweifachem Maß gemessen und wie Sprache zum Störfall gemacht wird

Viel reden ist nicht nötig: „Sprache ist ein Selbstläufer.“

Einen Vortrag über Mehrsprachigkeit sollte die Mannheimer Professorin für Anglistische Linguistik, Rosemarie Tracy, am Freitagnachmittag im Haus der Wissenschaft halten. Eingeladen hatten sie der Bremer Rat für Integration und der Sprachenrat Bremen. Und so erfuhren ihre ZuhörerInnen einiges über die Vorteile von Menschen, die mehrere Sprachen sprechen: Unter anderem soll dies vor Demenz schützen.

Tracy sprach aber auch über die Doppelmoral, mit der wir in unserer Gesellschaft mit Mehrsprachigkeit umgehen. „Es gibt Kinderärzte, die warnen Eltern davor, mit ihren Kindern mehrere Sprachen zu sprechen, wenn sie etwa aus einem afrikanischen Land kommen und neben ihrer Muttersprache auch die Amtssprache beherrschen“, erzählte Tracy. „Derselbe Arzt würde aber gratulieren, wenn andere Eltern sagten, ihr Kleinkind mache jetzt Early English.“

Viele der Tests, mit denen in Deutschland die sprachlichen Kenntnisse von Kindern gemessen werden sollen, seien für Monolinguale entwickelt worden, um darunter diejenigen mit einer Sprachentwicklungsstörung herauszufiltern. Von einer solchen könne aber bei Kindern, die erst seit wenigen Monaten oder Jahren Deutsch sprechen, keine Rede sein, sagte Tracy. „Dennoch werden sie mit denen verglichen, die mit Deutsch aufgewachsen sind.“ Wie wenig uns dies bewusst ist, illustrierte sie mit einem Artikel aus dem Tagesspiegel. Darin wurde eine Lehrerin mit den Worten zitiert: „Wir haben Kinder, die haben in einem Diktat mit 70 Wörtern 60 Fehler gemacht. Jetzt machen sie nur noch 25, auch wenn das immer noch eine Sechs ist.“ Die Autorin des Artikels bezeichnete dies als „Erfolg“, wie Tracy kritisierte. „Die verbessern sich und bekommen trotzdem eine Sechs! Das ist kein Erfolg.“ Für Gelächter im Publikum sorgte ihre Erinnerung an eine oft von LehrerInnen gesprochene Aufforderung: „Noch mal im ganzen Satz!“ Tracys Folgerung aus dieser sich selbst widersprechenden Formulierung: Der Maßstab, der an MigrantInnen gelegt wird, ist ein anderer als der, an dem sich andere SprachverwenderInnen messen lassen müssen. Sprache würde als „Störfall“ aufgefasst, anstatt als das, was es ist: Ein lebendiges Kulturgut, das sich unter dem Einfluss verschiedener Nutzer weiterentwickelt. In der Folge würden auch diejenigen, die mit mehreren Sprachen groß werden, dies nicht als Potential begreifen, sondern als etwas, das sie verbergen müssen.

Auch mit dem Vorurteil, Kinder, deren Eltern wenig mit ihnen sprechen, würden in ihrer sprachlichen Entwicklung gestört, räumte Tracy auf. Für den Erwerb der grammatischen Grundstrukturen sei dies unerheblich. „Sprache ist ein Selbstläufer.“ Nachholbedarf hätten solche Kinder nur, was den Wortschatz angehe. Und selbst mit vier Jahren könnten Kinder noch eine zweite Sprache so leicht wie ihre erste lernen – weshalb die Wissenschaftlerin auch dringend riet, so früh wie möglich mit der Sprachförderung im Kindergarten zu beginnen.

In einem anschließenden Workshop ging es um die Umsetzung dieser Erkenntnisse. Beate Vogel vom Landesinstitut für Schule, das in Bremen PädagogInnen aus- und fortbildet, bezeichnete die kulturelle Vielfalt an Schulen als „Chance und Herausforderung“. Das Einbinden der Mehrsprachigkeit in den Unterricht geschehe in Bremen leider nur auf Projektebene und hänge von der Haltung der Lehrkraft ab. „Man muss sich darauf einlassen können, auch mal etwas nicht zu verstehen, was die Kinder sagen.“ Das immer noch gültige Bild von LehrerInnen als Kontrolleure stehe dem häufig entgegen. EIB