Kommentar EU-Hilfe Nordafrika: Die letzte Chance

Was tun in Nordafrika? Die EU sollte schleunigst der in die Defensive geratenen afrikanischen Zivilgesellschaft mit mehr Experten und Geld helfen.

Entwicklung sieht anders aus: französische Soldaten in Mali. Bild: reuters

Der Überfall der Islamisten in Algerien und der Krieg in Mali sind ein dramatischer Wendepunkt für die politische Landschaft ganz Nordafrikas. Und der letzte Weckruf für Europa, seine Nachbarn südlich des Mittelmeers intensiv zu unterstützen.

Zuvor fand die Auseinandersetzung mit den extremistischen Gruppierungen der Sahara im Verborgenen statt. Täglich ist das Brummen der amerikanischen Aufklärungsdrohnen über der libyschen, algerischen und malischen Wüste zu hören. Die Überwachung kostet Unsummen und hat nicht viel gebracht.

Die mutig für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfende Zivilgesellschaft am Boden dagegen wird noch immer mit ein paar Workshops und Konferenzen abgespeist. Aus Geldmangel und Mangel an Erfahrung mussten viele liberale Medien und Nichtregierungsorganisationen ihre Arbeit in den letzten Monaten einstellen.

Der nach dem Arabischen Frühling ausbleibende Flüchtlingsstrom nahm europäischen Politikern den Handlungsdruck. Die EU kann sich zu keiner einheitlichen Politik durchringen. Die Regierung in Paris konzentrierte sich lieber darauf, ihre militärische Hilfe für die libysche Revolution in Verträge für französische Firmen umzumünzen. Und die US-Regierung setzt nach dem Mord an ihrem libyschen Botschafter auf ihr Militär, das aber gegen in die Städte zurückgezogene Islamisten nichts machen kann.

ist Autor der taz.

Unmengen von Waffen

Die islamistischen Gruppen hatten so alle Zeit, sich in Ruhe auf die Ausweitung ihres Einflussgebiets vorzubereiten. Aus der ganzen Welt strömen Extremisten in die gesetzlosen Gebiete Libyens und Malis, Unmengen von Waffen aus dem Arsenal von Gaddafis früherer Armee stehen bereit. Diese bedrohen zunächst die Werte und Vertreter von Freiheit und Demokratie in Nordafrika. Und jetzt Europa direkt.

Wie es auch geht, zeigte die Schweizer Regierung, die kurz entschlossen zwischen den Quasistaat Azawad in Nordmali und der Regierung in Malis Hauptstadt Bamako vermittelte und die moderaten Kräfte der Tuareg einband. Nach Angaben des Schweizer Staatssekretärs Yves Rossier standen die Verhandlungen zwischen der laizistischen Tuareg-Gruppierung MNLA und der Regierung Malis im Dezember kurz vor einer Lösung. Am Tag der geplanten Vertragsunterzeichnung griff die islamistische Tuareg-Gruppierung Ansar Dine den Süden Malis an. Die Verhandlungen gefährdeten ihre Machtposition.

Ansar Dine und die anderen islamistischen Gruppen wissen, dass sie der Bevölkerung außer einer mittelalterlichen Form der Scharia nicht viel zu bieten haben. Bürgerinitiativen und Regierungen, die sich um Transparenz, Minderheitenrechte und Jobs kümmern, sind ihr größter Feind. Die Tuareg-Bewegung MLNA in Mali und die Bürgerinitiativen in Bengasi haben zwar keine militärische Macht, aber sie haben das, was im Kampf gegen die islamistischen Terroristen viel entscheidender ist: eine Vision für die Zukunft.

Immer nordwärts

Europa hat bis jetzt im Saharakrisenmanagement kläglich versagt, obwohl die Bevölkerungsmehrheit der dortigen Staaten nach Europa schaut. NGOs wie „Transparency Libya“ orientieren sich an Aktivisten in Paris, London und Berlin, nicht an den Herrschern in Riad und Doha.

Brüssel sollte schleunigst mit mehr Experten und Geld der in die Defensive geratenen Zivilgesellschaft helfen. Schnelle Wirtschaftshilfe für die Maghreb- und Saharastaaten müsste dabei mit Anforderungen für Minderheitenrechte und Rechtsstandards verknüpft werden.

Stattdessen werden libysche Offiziere derzeit in Katar und bald in Saudi-Arabien ausgebildet. Deren Herrscherhäuser nutzen die Unterstützung, um ihre wahabitischen Weltanschauung in der moderaten muslimischen Welt Nordafrikas zu verbreiten. Ihre Waffenlieferungen an religiöse Milizen während der Revolution sind Mitursache für die jetzige Lage.

Die weitere Entwicklung des Saharakonflikts ist vorhersehbar. Viele der rund 3.000 islamistischen Kämpfer werden wieder nordwärts ziehen, in die kaum kontrollierte Sahararegion Libyens. Erst ab dem Sommer will die EU der libyschen Regierung bei der Kontrolle der Grenzen helfen. Hilfe beim Aufbau neuer Strukturen für Aktivisten und die Regierung ist aber jetzt nötig. Jetzt oder nie.

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Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.

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