Ein Ausbruch von Größenwahn

TÜRKEI Mit Infrastrukturprojekten wie einem neuen AKW und dem größten Flughafen der Welt will Ministerpräsident Erdogan zu den großen Wirtschaftsmächten aufschließen

Es ist unwahrscheinlich, dass Proteste den Flughafenbau auch nur verzögern können

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der vergangene Freitag war für den türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan ein Tag des Triumphs. Gleich zwei neue Megaprojekte, mit deren Hilfe die Türkei näher an die Liga der zehn stärksten Wirtschaftsnationen der Welt aufschließen soll, wurden an nur einem Tag aus der Taufe gehoben.

Zuerst unterzeichnete Erdogan mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe ein Abkommen über den Bau eines vier Blöcke großen Atomkraftwerks mit 5.000 Megawatt Leistung, das am Schwarzen Meer bei Sinop entstehen soll. Und nur wenige Stunden später vergab sein Verkehrsminister in einer öffentlichen Auktion den Zuschlag für Bau und Betrieb eines neuen, nach derzeitiger Planung weltweit größten Flughafens an ein Konsortium von fünf türkischen Baukonzernen.

Die deutsche Fraport AG, die den Frankfurter Flughafen betreibt und das Istanbuler Megaprojekt gerne übernommen hätte, stieg bei einem Gebot von 22 Milliarden Euro aus. Das türkische Konsortium bekam bei 22,35 Milliarden Euro den Zuschlag.

Dieser Betrag wird über einen Zeitraum von 25 Jahren nach Abschluss der Bauarbeiten fällig. Er stellt die Leasinggebühr dar, die die Betreiber für den Flughafen an den Staat zu zahlen haben.

Die Baufirmen müssen den Flughafen auf eigene Kosten bauen – die Bausumme wird auf rund 7 Milliarden Euro geschätzt. Dann aber dürfen sie 25 Jahre an jedem der 150 Millionen Passagiere verdienen, die das zukünftige Drehkreuz mit seinen sechs Start- beziehungsweise Landebahnen laut Planung jährlich durchlaufen sollen. Zum Vergleich: Frankfurt fertigt maximal 50 Millionen Passagiere pro Jahr ab.

Gebaut werden soll dieser dritte Flughafen Istanbuls nordwestlich der Stadt, nahe dem Schwarzen Meer. Fast 6,5 Millionen Quadratmeter Land stellt der Staat dazu zur Verfügung. Drei Viertel davon sind bislang noch Waldgebiete, die weitgehend abgeholzt werden müssen.

Zwar protestieren verschiedene Umweltgruppen und der Verband türkischer Ingenieure gegen die vorliegenden Pläne. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass sie das Projekt auch nur verzögern können. Bereits 2017 soll die erste Ausbaustufe fertig sein, und die ersten Flieger werden abheben.

Ähnlich sieht es bei dem Bau des AKWs aus, das nun Mitsubishi und der französische Atomkonzern Areva ans Schwarze Meer stellen sollen. Greenpeace und andere Organisationen protestieren seit Jahren gegen den Bau von AKWs in der Türkei.

Doch bei dem größten Teil der Bevölkerung dringen sie damit nicht durch. Wie die türkischen Medien lassen sich die meisten Leute durch die Aussicht auf Wirtschaftswachstum und höhere Einkommen begeistern. Hinzu kommt das wachsende Prestige für ihr Land, das als einziges in Europa noch nennenswerte Wachstumsraten aufweist. Lediglich in Istanbul, dem Wachstumsmotor des ganzen Landes und deshalb auch Zentrum der geballten Infrastrukturmaßnahmen der türkischen Regierung, kommen erste Zweifel auf. Immer mehr Städter fragen sich, woher später noch die Luft zum Atmen kommen soll, wenn alle Bäume im Umland gefällt sind und die Stadt von jetzt 15 Millionen Einwohnern wie geplant auf 25 Millionen angewachsen sein wird.

Denn es ist nicht nur der Flughafen, für den die Natur verschwindet. Vor wenigen Wochen begannen die Bauarbeiten für eine dritte Brücke über den Bosporus. Zu diesem Projekt gehört auch eine neue Autobahn, die den neuen Flughafen an die Stadt anschließen soll.

Zwischen dem Flughafen und dem jetzigen Stadtzentrum will Erdogan dann die Olympiastadt bauen lassen, wenn Istanbul den Zuschlag für die Olympiade 2020 erhält. Da Tokio die wichtigste Konkurrenz um die Ausrichtung der Olympiade ist, witzelte Erdogan auf seiner Pressekonferenz mit Abe, der japanische Premier solle Tokio zurückziehen, wenn er den Zuschlag für den AKW-Bau haben wolle.