Regierung entschuldigt sich für brutale Polizeigewalt

TÜRKEI UN fordern unabhängige Untersuchung. Streik aus Solidarität im öffentlichen Dienst

ISTANBUL afp | Die türkische Regierung hat sich überraschend bei den Opfern der Polizeigewalt im Einsatz gegen die landesweiten Proteste entschuldigt. „Ich entschuldige mich bei denen, die Opfer von Gewalt geworden sind, weil sie sich für die Umwelt einsetzen“, sagte Vize-Regierungschef Bülent Arinc am Dienstag. Die Regierung sprach von 308 Verletzten, Menschenrechtsorganisationen von 1.700.

Die Regierung respektiere die „unterschiedlichen Lebensstile“ aller Bürger, betonte Arinc nach einem Treffen mit Präsident Abdullah Gül. Die Entwicklungen seien „aus dem Ruder gelaufen“, nachdem Sicherheitskräfte „Tränengas gegen Menschen mit berechtigten Anliegen einsetzten“. Arinc forderte die Demonstranten auf, als „verantwortliche Bürger“ alle Proteste einzustellen.

Auslöser der seit Tagen anhaltenden Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei war am Freitag die gewaltsame Auflösung von Protesten gegen den Bau eines Einkaufszentrums im Gezi-Park am Taksim-Platz in Istanbul. Die Proteste richten sich inzwischen aber verstärkt gegen die Regierung von Erdogan und seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Zahlreiche Beschäftigte im öffentlichen Dienst traten am Dienstag als Zeichen der Solidarität mit den Demonstranten in einen zweitägigen Streik, zu dem die Gewerkschaft KESK aufgerufen hatte. Die Vereinten Nationen verlangten eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt. Zudem müssten die Verantwortlichen „juristisch verfolgt“ werden, sagte die Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Cecile Pouilly, am Dienstag in Genf.

Bei einer Demonstration im Süden des Landes wurde ein 22-Jähriger tödlich verletzt. Eine Autopsie ergab am Dienstag, dass er eine schwere Hirnverletzung erlitt. Der Vorfall ereignete sich am Montag in der Provinz Hatay nahe der Grenze zu Syrien. Die Polizei leitete Ermittlungen ein. Am Sonntag wurde ein Demonstrant getötet, der an der Blockade einer Stadtautobahn in Istanbul teilnahm. Er starb, als ein Auto in die Menge raste.

Erdogan selbst sagte bei einer Nordafrika-Reise in der marokkanischen Hauptstadt Rabat, die Lage in seinem Land beruhige sich „allmählich“. Wenn er am Donnerstag zurückkehre, würden „die Probleme erledigt“ sein.