Da ist noch was zu holen

SANIEREN Millionen hin, Millionen her – Berlin streitet, wie es seinen maroden Haushalt in den Griff bekommt. Doch das Land setzt die falschen Prioritäten. Und muss einsehen, dass seine Möglichkeiten anderswo definiert werden. Eine Analyse

VON SEBASTIAN HEISER

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Das Land Berlin schließt die Humboldt-Uni, macht alle Opern, Büchereien und Musikschulen dicht, legt seine Schwimmbäder trocken, mottet das Olympiastadion ein und schafft den Verfassungsschutz ab. Ein Sparprogramm sondergleichen, so scheint es, mit dem die Ausgaben des Landes um rund 500 Millionen Euro im Jahr sinken würden. Doch all das würde nicht reichen. Denn das Loch, das Berlin in Zukunft stopfen muss, ist viel größer.

Ende Mai war per Zensusbefragung herausgekommen, dass in Berlin viel weniger Menschen leben als gedacht. Das Land bekommt ab sofort jedes Jahr 470 Millionen Euro weniger über den Finanzausgleich. Zudem, und das ist weit schlimmer, läuft bis 2019 der Solidarpakt aus, über den Berlin dieses Jahr noch 1,24 Milliarden Euro erhält. Und gleichzeitig greift die Schuldenbremse: Das Land darf keine neuen Schulden mehr aufnehmen.

Steuern rauf

Bei diesem düsteren Szenario stellt sich die Frage: Was tun? Den Zensusschock versuchte der Senat noch mit der Erhöhung der Grunderwerbsteuer zu bewältigen, die alle neuen Hausbesitzer beim Kauf zahlen. Das soll 100 Millionen Euro bringen und geht in die richtige Richtung.

Völlig unverständlich ist jedoch, dass der Senat die Gewerbesteuer für Unternehmen nicht erhöht. Beim Vergleich der fünf größten deutschen Städte fällt auf: Der Steuersatz, den Firmen in Berlin auf ihren Gewinn zahlen, ist nirgends so niedrig wie hier. Würde Berlin seine Unternehmen so besteuern wie München, würde das 260 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt spülen. Und warum sollten sich die hiesigen Firmen weniger an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen als die in Bayern?

Bei den Mietern hingegen greift die Stadt ordentlich zu. Der Satz für die Grundsteuer, die in Berlin über die Nebenkostenabrechnung auf die Mieter abgewälzt wird, ist bundesweit nirgends so hoch wie hier. Eine gerechte Politik sähe anders aus: Sie würde Mieter entlasten und Unternehmen belasten.

Stattdessen baut sich der rot-schwarze Senat ein Luftschloss: Er hofft, dass die Konjunktur weiterhin anzieht und die Steuereinnahmen sprudeln lässt. Doch das ist unrealistisch, weil auf jeden Boom eine Rezession folgt.

Auf lange Sicht kann Berlin seine Einnahmen von sich heraus ohnehin nicht so stark steigern, wie es nötig wäre – weil der Landeshaushalt wesentlich von Einnahmen abhängt, die Berlin gar nicht steuern kann. Zu den größten Einnahmeposten des Landes zählen Umsatz-, Lohn- und Einkommensteuer, deren Höhe allein der Bund festlegt. Bei der Bundestagswahl im September entscheidet sich also auch, wie es mit dem Landeshaushalt weitergeht. SPD und Grüne wollen die Vermögensteuer wiedereinführen und die Einkommensteuer für Spitzenverdiener erhöhen. Beides würde den Länderkassen sehr viel Geld bringen. Außerdem planen SPD und Grüne einen Altschuldentilgungsfonds, der Schulden von finanzschwachen Bundesländern übernimmt.

Fazit: Nur wenn Rot-Grün regiert, ist Berlin saniert.

Wie der Berliner Haushalt aussieht und wo der Senat sparen will: Das Thema SEITE 44, 45