Bildung: Ungewohnte Begegnungen

Schulpatenschaft zwischen dem Jüdischen Museum mit einer Kreuzberger Sekundarschule: erfolgreiche Kooperation trotz Neuland.

Lernort Jüdisches Museum Berlin Bild: ap

Sie nehmen kein Blatt vor den Mund und haben dabei sicht- und hörbar eine Menge Spaß: „Was halten Sie von Sex vor der Ehe?“ Mit solchen Fragen sind SchülerInnen der Kreuzberger Sekundarschule an der Skalitzer Straße durch ihren Kiez gezogen, um Menschen zum Thema „Liebe und Glaube in Kreuzberg“ befragen. „Herzensdinge“ heißt das diesbezügliche Kapitel des Films „X Berg mein Name“, der jetzt im Jüdischen Museum zu sehen ist. Der Film ist ein Ergebnis des Unterrichtsprojekts „Geschichtswerkstatt“, eines Kernstücks der Patenschaft zwischen Jüdischem Museum (JM) und der Schule.

Ihn und eine Fotoausstellung präsentierten die SchülerInnen am Montag bei einer feierlichen Veranstaltung im Glashof des Jüdischen Museums. Die Fotos dokumentieren eine Reise, die SchülerInnen der Geschichtswerkstatt in die Türkei unternommen haben. Dort trafen sie mit gleichaltrigen TürkInnen jüdischen Glaubens zusammen.

Wie das war? „Normal“, sagt Mohammad, 16. „Wir haben Fußball gespielt.“ Und wer hat gewonnen – die mehrheitlich muslimischen Schüler aus Deutschland oder die jüdischen aus der mehrheitlich muslimischen Türkei? „Alle!“, lacht Mohammad: „Wir haben in gemischten Mannschaften gespielt!“ So ganz normal war die Begegnung der VertreterInnen religiöser Minderheiten aus zwei Ländern aber nicht. Für Mohammad, den in Syrien geborenen Kreuzberger mit palästinensischer Herkunft und jordanischer Staatsangehörigkeit, war es der erste Besuch in der Türkei – und die erste intensive Begegnung mit Juden.

85 Prozent der SchülerInnen der Schule an der Skalitzer Straße stammen aus Einwandererfamilien, überwiegend muslimischer Religion. Dass zur Patenschaftsfeier im Museum viele Eltern kamen, sei nicht selbstverständlich, erzählt ein Lehrer: Ein Vater habe erklärt, er betrete kein Gebäude mit dem Begriff „jüdisch“ im Namen. Doch der Sohn sei da, mit Billigung des Vaters: „Er sagt, er hat verstanden, dass es für den Jungen wichtig ist, seinen eigenen Standpunkt zu finden.“

Schule und Museum betreten mit der Patenschaft Neuland. Die Geschichtswerkstatt als Wahlpflichtfach für Neunt- und inzwischen auch Zehnklässler besteht seit einem Jahr. Mit Lehrern und Museumsmitarbeitern erarbeiten die SchülerInnen dabei Themen wie das Überleben im Exil, die Migrationsgeschichten der eigenen Familien oder Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen. Dabei kommt es zu vielen Begegnungen mit Menschen verschiedener und ohne Religionszugehörigkeit. Im Film etwa wird deutlich, dass es eher der Glaube selbst ist, der die Antworten auf die Frage nach Sex vor der Ehe beeinflusst, als die jeweilige Religionszugehörigkeit.

Interkulturelle Kompetenz zu vermitteln ist eines der Ziele, die das Jüdische Museum mit der Patenschaft verfolgt. Aber auch das Museum profitiert: „Sicher sind bei manchen der Schüler Stereotypen über Juden im Kopf“, sagt Fabian Schnedler, der als Museumspädagoge des JM die Geschichtswerkstatt betreut. „Aber es gibt auch im Museum Stereotypen über diese Schüler.“ Auch da soll die Patenschaft abhelfen.

Neue Zielgruppen ans Museum heranführen, so Diana Dressel, Leiterin der JM-Bildungsabteilung, auch das sei beabsichtigt. Zu Führungen oder Workshops kämen jetzt vor allem Gymnasien. Und die auf vier Jahre angelegte Patenschaft soll die Bildungsarbeit befruchten: „Wir merken, dass wir bei unseren Guides auch auf sozialpädagogische Kompetenz achten sollten.“

Mohammad macht die Geschichtswerkstatt nicht nur Spaß, sie fruchtet auch. Sagt er selbst: „Früher dachte ich, alle Juden seien schlecht. Jetzt weiß ich, das ist nicht so. Ich habe den Unterschied zwischen Juden und Israel gelernt. Das eine ist Land, mit einer Politik, die ich immer noch nicht mag. Das andere ist ein Glaube wie jeder andere.“

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