So etwas wie Alltag

HELLERSDORF Seit vor fünf Wochen die ersten Flüchtlinge in die umstrittene Unterkunft gezogen sind, hat sich die Lage etwas beruhigt. Dafür gibt es ein neues Problem: Die Heizung läuft nicht

„Die Neuen in unserer Schule sind voll nett“

12-JÄHRIGE ANWOHNERIN ÜBER FLÜCHTLINGSKINDER IN IHRER KLASSE

VON MARINA MAI

Vor dem Asylbewerberheim in der Hellersdorfer Carola-Neher-Straße hängt nur noch ein Wahlplakat der Linken. „Nazis raus aus den Köpfen“ steht darauf. Die NPD-Plakate sind verschwunden. Fünf Wochen ist es her, dass die ersten Flüchtlinge in das Heim zogen – und von einem Anwohner mit dem Hitlergruß empfangen wurden. Inzwischen wohnen hier 182 Flüchtlinge, die hauptsächlich aus Tschetschenien, Pakistan, Syrien, Vietnam und vom Balkan stammen. Der 21-jährige Abdullah ist einer von ihnen. „Ich bin dankbar, dass Deutschland mir dies alles gibt“, sagt der Pakistaner. Er zeigt in das Zimmer, das er mit zwei Landsmännern teilt. Die drei Betten sind mit frischer gelber Bettwäsche bezogen. Drei neue Kleiderschränke stehen in dem Raum, der früher das Klassenzimmer einer Schule war und durch eine Trennwand in zwei kleinere Räume geteilt wurde. Unter dem Tisch steht eine Kiste Coca-Cola. Abdullah ist zufrieden mit dem neuen Zuhause. Seine Mitbewohner seien alle nett.

Drei tschetschenische Jungen fahren mit Rollern über den breiten Flur des ehemaligen Schulgebäudes. Im Nebenzimmer beginnt ein Kleinkind lautstark auf sich aufmerksam zu machen. Dass es in Hellersdorf Probleme mit Nazis gibt, blieb dem jungen Mann, der in Pakistan studierte und aus politischen Gründen seine Heimat verlassen musste, nicht verborgen. „Die ersten Tage haben wir uns nicht rausgetraut.“ Doch inzwischen gehe er ganz selbstverständlich einkaufen und Freunde in der Motardstraße besuchen, sagt er im perfekten Englisch.

Doch nicht alle Bewohner sind so zufrieden. Die grüne Abgeordnete Canan Bayram betreut einen dort lebenden Afghanen, der sich nicht aus dem Haus traut – aus Angst vor Nazis. Seine Sorgen sind tiefgreifend. „Er hält auch die Autonomen, die zwei Wochen lang eine Mahnwache vor dem Haus abgehalten haben, für Nazis und glaubt, die Polizei sei dort so präsent, weil sie Nachbarn gegen die Flüchtlinge beistehen würde“, sagt Bayram. Der Mann, der in Afghanistan als Lehrer für Biologie und Sport gearbeitet hatte, vermisse in Hellersdorf eine Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. „Das wäre für ihn ein Stück Normalität. Ich wünsche mir aber auch, dass ein so qualifizierter Mann bald eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hat“, sagt die Abgeordnete.

Jede Nacht Gebrüll

Ein 15-jähriger Junge berichtet über fremdenfeindliche Schmähungen – allerdings nicht von Hellersdorfer Nachbarn, sondern von Türken am vietnamesischen Dong-Xuan-Center in Lichtenberg. „Die haben mich als Zigeuner beschimpft und sagten, ich soll abhauen.“

Eine Vietnamesin schiebt gerade den Kinderwagen ins Haus und klagt über die Kälte. „Die Heizungen sind kaputt. Es ist kalt, mein Baby ist krank“, sagt sie. Eine Bosnierin, die als Kind in Berlin gelebt hatte und nun mit ihren Kindern nach Berlin zurückgekommen ist, schimpft ebenfalls über die Kälte. Und über die Machenschaften vor dem Heim. „Jede Nacht gibt es Krach hier. Jede Nacht brüllt irgendjemand rum oder fotografiert uns vom Hoftor aus. Ich habe schon einen Antrag gestellt umzuziehen. Aber das klappt nicht.“ Zwei junge Pakistaner kommen hinzu. „Das Heim ist sauber. Das Personal ist nett. Aber Nazis und die Kälte. Das sind die Probleme.“

Beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) bedauert man die Probleme mit der Heizanlage und geht davon aus, dass diese bald behoben werden. „Durch den langen Leerstand der Schulgebäude waren technische Heizpumpen entfernt worden und mussten nachbestellt werden“, sagt Lageso-Sprecherin Silvia Kostner.

Auch die Teilhabe der Flüchtlinge am sozialen Leben in Hellersdorf lässt noch auf sich warten. Die nahe gelegene Alice-Salomon-Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik will zwei Räume der Flüchtlingsunterkunft für Vorlesungen und Seminare nutzen, um ihm mit studentischem Leben einen anderen Geist einzuhauchen. Die starten aber erst in zwei Wochen, sagt Hochschulsprecherin Sandra Teuffel. „Wir bieten dort Lehrveranstaltungen auf Deutsch und Englisch an und laden interessierte Flüchtlinge zur Teilnahme ein – sofern sie diese Sprachen beherrschen.“

Beim Bezirk haben sich viele Menschen mit Hilfsangeboten gemeldet, sagt der linke Bezirkspolitiker Björn Tielbein. „Wir haben zum einen sehr viele Sachspenden von Altkleidern bis zu Sport- und Spielgeräten. Aber es haben sich auch viele Hellersdorfer gemeldet, die ehrenamtliche Arbeit leisten wollen.“ So gab es am Mittwoch eine Hilfskonferenz, zu der mehr als 70 Freiwillige gekommen seien, sagt Tielbein. Die Volkshochschule des Bezirks bereite zudem ein Angebot vor, um Flüchtlingen kostenlos Deutsch beizubringen. Rechtlich haben Flüchtlinge keinen Anspruch auf einen vom Staat finanzierten Deutschkurs. Außerdem plant der Bezirk, im nahe gelegenen Kastanienboulevard ein leeres Ladengeschäft anzumieten, wo Anwohner und Flüchtlinge miteinander in Kontakt treten sollen.

An den Kontakten mangelt es noch. Eine Hellersdorfer Mutter, die mit ihrem kleinen Sohn an dem Heim vorbeiläuft, erzählt von Vorurteilen in der Nachbarschaft. „Viele Nachbarn sehen, dass die Flüchtlinge vernünftig gekleidet herumlaufen. Da kommt Neid auf.“ Beim Kinderarzt sei eine tschetschenische Familie eher behandelt worden als andere Wartende. „Da gab es sofort eine hitzige Debatte im Warteraum, dass denen alles in den Rachen geschoben werde und andere ihre Ansprüche nicht so leicht geltend machen könnten“, erzählt die Frau.

„Gegen Ausländer habe ich nichts“, sagt eine andere Frau, die mit ihrer Familie unterwegs ist. „Aber gegen das Roma-Gesockse habe ich was. Die können sich nicht benehmen, sind laut und schmeißen ihren Müll auf die Straße.“ Von Roma abgesehen sei es schon in Ordnung, sagt sie, dass Menschen, die in ihren Ländern verfolgt werden, in Deutschland Schutz bekommen. „Ich kritisiere aber die schlechte Information durch die Politik.“ Deshalb informiere sie sich auf den Seiten der umstrittenen Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf. Die Informationen der Bürgerinitiative, die der Verfassungsschutz in der Nähe der NPD sieht, haben für die Frau eine hohe Glaubwürdigkeit. „An den Schulen waren alle Eltern dagegen, dass die Ausländer dort aufgenommen werden“, sagt sie noch. Ihre 12-jährige Tochter widerspricht. „Die Neuen in unserer Schule sind voll nett.“

Dass sich rechte Parolen in Hellersdorf verfangen, sieht man auch am Ergebnis der Bundestagswahl. Rund um das Asylheim erreichte die NPD sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen zweistellige Ergebnisse. Dabei ist Hellersdorf traditionell keine rechte Hochburg. 2009 holte die NPD in dem Kiez weniger als 5 Prozent der Stimmen. Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU), der seinen Wahlkreis in Hellersdorf hat, weist deshalb darauf hin, dass die Mehrheit der Hellersdorfer demokratischen Parteien ihre Stimme gegeben haben. „Gleichwohl dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass die NPD mit ihren ausländerfeindlichen Parolen zum Teil Gehör gefunden hat.“ Viele Vorurteile ließen sich abbauen, wenn es Kontakte zwischen Flüchtlingen und Anwohnern gebe, sagt Czaja. „Auf der anderen Seite dürfen wir nicht zulassen, dass sich die Menschen, die selbst soziale Probleme haben, nur von extremistischen Rattenfängern vertreten fühlen. Es ist unsere Aufgabe, uns dieser Sorgen anzunehmen.“