Depression im Geburtsort der libyschen Revolution

REGIERUNGSSTREIT Von Morden erschüttert, schimpft das ostlibysche Bengasi über die ferne Hauptstadt

„Einen wirklichen Plan haben nur die Al-Qaida-Gruppen“

DEMONSTRANTIN IN BENGASI

AUS BENGASI MIRCO KEILBERTH

Die politische Krise in Libyen spitzt sich zu. Seit Samstag starben sechs Polizei- und Armeeangehörige durch ferngezündete Bomben in der Millionenstadt Bengasi im Osten Libyens.

Dabei hatte die libysche Armee dort Stunden zuvor erstmals seit Ende der Revolution 2011 ihre Muskeln spielen lassen. Mehrere Dutzend alte französische Pannard-Panzerwagen rollten in einem langen Konvoi zu strategisch wichtigen Punkten, Kampfjets donnerten im Tiefflug über die Stadt.

Viele Passanten am Straßenrand reagierten erleichtert. Doch politische Aktivisten wie Taufwik Mansouri winkten gleich ab: „Acht Millionen Dinar hat der Nationalkongress in Tripolis für die Armee in Bengasi ausgegeben – 900 Millionen für die Milizen in der Hauptstadt. Bewusst haben einige Kongressabgeordnete diese unkontrollierten Gruppen zur Hauptordnungsmacht werden lassen.“

Die Stimmung in Libyens zweitgrößter Stadt, wo die Revolution gegen Gaddafi vor bald drei Jahren begann, ist gedrückt. Weit über 100 Soldaten starben bisher in Bengasi durch gezielte Anschläge, aber auch Aktivisten und Journalisten. Die Regierung Seidan kann bis heute keinen einzigen Verdächtigen vorweisen. Zwar gab es Festnahmen, aber entweder blieb deren Identität geheim oder es wurden Männer aus dem Niger präsentiert, die man ohne ernsthafte Beweise als Täter präsentierte. Beobachter in Bengasi mutmaßen, dass entweder radikale Islamisten oder Gaddafi-Loyalist hinter den Morden stecken. „Fast alle, die es traf, standen von Beginn an auf der Seite der Revolution“, sagt Ahmed Boukeula, ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums. „Mit ihnen stirbt symbolisch das, wofür wir standen.“

Das will Mohammed Hijazi so nicht stehen lassen. Der Pressesprecher der Armee wird selbst seit Längerem bedroht und hat nichts mehr zu verlieren, wie er sagt. „Während die Milizen mit guten Kontakten zu islamistischen Kreisen über eine Kriegskasse von 900 Millionen verfügen, bekommen wir nicht einmal unseren Lohn pünktlich ausgezahlt“, schimpft er. „Wir haben Beweise, dass religiöse Extremisten der Takfiri-Bewegung verhindern wollen, dass in Ostlibyen ein Staatsapparat entsteht.“ Nachdem Hijazi in einem TV-Interview sogar Namen nannte, steht er zum eigenen Schutz unter strenger Bewachung.

Am vergangenen Samstag versammelten sich Tausende im ganzen Land, um für Neuwahlen zu demonstrieren. „Einen wirklichen Plan haben doch nur die Al-Qaida-Gruppen“, bemerkt in Bengasi eine ältere Dame mit selbstgemaltem Protestschild in der Hand. „Die Politiker im Kongress denken nur an sich selbst.“