Mögliche Zeugenbeeinflussung

ZEUGENSCHUTZ Der Beschuldigte im NSU-Verfahren, Holger G., tauschte sich mit Zeugen aus. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Kindler befürchtet, dass das BKA Pannen vertuschen will, Fragen an das Bundesinnenministerium blieben unbeantwortet

„Das Ministerium verweigert jede Aufklärung“

SVEN KINDLER, GRÜNE

Holger G., Beschuldigter und gleichzeitig Hauptbelastungszeuge im NSU-Prozess, betritt den Saal A 101 des Oberlandesgerichts München inzwischen durch den Haupteingang. Den angeklagten NSU-Unterstützer aus Lauenau nahe Hannover begleiten auch keine Personenschützer mehr. „Ich kann nicht sagen, ob unser Mandant im Zeugenschutz des BKA ist oder nicht“, sagt Stefan Hachmeister, Anwalt von G., der taz.

Das Handeln seines Mandanten möchte Hachmeister nicht öffentlich bewerten. Aus dem Zeugenschutz soll G. laut Hachmeister aber „nicht herausgekickt“ worden sein. „Den Zustand, den sie jetzt beobachten, entspricht dem Wunsch unseres Mandaten“, sagt er.

Seit Wochen löst das Verhalten G.s, der beschuldigt wird, dem NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe eine Waffe, Reisepässe und eine Krankenversicherungskarte organisiert zu haben, Verwunderung aus. Denn es besteht der Verdacht, dass G. unter Beobachtung des BKA Zeugen im NSU-Verfahren beeinflusst hat. Mehrmals fragte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler beim Bundesinnenministerium (BMI) nach.

Im Prozess hatten Zeugen aus Hannover zuvor eingeräumt, sich mit G. getroffen zu haben. Zivilbeamte des BKA hätten ihn zu einem Treffen in der Gaststätte „Seehaus“ in Isernhagen mit ihrem Mann und ihr gebracht, sagte die Zeugin Silvia S. aus. Solche Treffen widersprechen „allen Regeln des Zeugenschutzes“, sagt Nebenkläger Alexander Hoffmann. „Dass unter Aufsicht des BKA eine mögliche Zeugenbeeinflussung stattfand, ist mehr als bedenklich“, sagt Kindler, dieser Vorfall war der Anlass für seine Nachfragen beim BMI.

Das BKA stritt jedoch die Zuständigkeit ab. G. hätte sich „vor seiner Aufnahme durch Beamte der BKA-Zeugenschutzdienststelle“ mit dem Ehepaar getroffen, heißt es in einen Schreiben des BMI vom 6. Januar. Wenige Tage nach der Antwort, am 8. Januar, räumte jedoch der Ehemann von Zeugin Silvia S. vor dem Oberlandesgericht ein, den letzten „persönlichen Kontakt“ mit G. vor „sechs, acht Wochen“ gehabt zu haben. Seine Frau und er hatten sich über ihre Aussagen ausgetauscht. Per SMS hielten sie Kontakt, sagte der Zeuge.

Nachfragen der taz zum Zeugenschutz von G. wollte das BKA nicht beantworten. Erneut fragte Kindler auch beim BMI schriftlich nach. Doch wieder bekommt er keine Antwort. „Wirkungsvoller Zeugenschutz“ könne nur gewährleistet werden, wenn „keine Einzelheiten bekannt“ würden.

„Die Antwort ist inakzeptabel. Das Ministerium verweigert jede Aufklärung beim Zeugenschutzskandal um G. und ignoriert den Informationsbedarf des Bundestages und der Öffentlichkeit“, sagt Kindler. Das sei Intransparenz mit Vorsatz. „Das BMI hätte die Rolle der Behörden ohne Weiteres im Allgemeinen offenlegen können – es sei denn, es gibt erneut Pannen, die unter Verschluss bleiben sollen“, sagt Kindler. Er will nun eine Kleine Anfrage stellen, um diese Vorfälle zu klären.  ANDREAS SPEIT