Sarrazin unter Beobachtung

MENSCHENRECHTE Die Bundesrepublik müsse mehr gegen Rassismus tun, fordert der Europarat. Er kritisiert auch den Umgang mit dem „Deutschland schafft sich ab“-Buch des Ex-Bundesbankers

BERLIN taz | Ausgerechnet in der Woche, in der Thilo Sarrazin sein neues Buch veröffentlicht, fordert der Europarat die Bundesrepublik auf, mehr gegen Rassismus und Intoleranz gegenüber Minderheiten zu tun. Das zeitliche Zusammentreffen ist rein zufällig – doch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri) des Europarats bezieht sich ausdrücklich auch auf die Debatte um Sarrazins vorherigen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Dank medialer Unterstützung hätten seine Thesen ein großes Echo erfahren, heißt es in einem aktuellen Bericht, „obwohl die vorgebrachten Argumente den eugenischen Theorien der Nationalsozialisten sehr nahe kamen“. Die Kommission fordert, dies als Volksverhetzung künftig schärfer zu ahnden.

Die Ecri wurde 1993 von den Staats- und Regierungschefs des Europarats ins Leben gerufen. Sie ist ein unabhängiges Gremium, das alle fünf Jahre die Menschenrechtslage in jedem Mitgliedsstaat untersucht, einen Länderbericht vorlegt und Empfehlungen ausspricht. Dem Europarat gehören alle europäischen Staaten mit Ausnahme Weißrusslands und des Vatikans an.

Ermittler ignorieren Motiv

Am Dienstag legte die Kommission in Straßburg ihren aktuellen Bericht zu Deutschland vor, 50 Seiten stark. Darin monieren die Experten auch, dass „rassistische Motive“ von Straftaten hierzulande zu rasch ausgeschlossen würden. Viele Delikte würden weder erkannt noch bestraft, weil sich die Behörden vor allem auf den organisierten Rechtsextremismus konzentrierten. Ähnliches gelte für Straftaten, die gegen Homosexuelle begangen würden.

Das Komitee verweist auf eine Untersuchung von 120 Delikten, bei denen rassistische Motive eine Rolle spielten. In den 79 Gerichtsurteilen, die daraufhin ergingen, wurde jedoch nur 16 Mal auf die politische Motivation Bezug genommen. Offenbar hätten die Behörden aus dem Debakel bei ihren Ermittlungen zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) „nicht gut genug dazugelernt“, schlussfolgern die Experten.

Der Bericht fordert, die Erfassung und Definition von „rassistischen, fremdenfeindlichen, homophoben Zwischenfällen“ zu reformieren. Ein rassistisches Motiv sollte in Deutschland, wie in anderen europäische Ländern auch, als erschwerender Umstand bei Straftaten gelten. Ähnliche Vorschläge hatte das Komitee bereits in seinem letzten Bericht zu Deutschland im Jahre 2008 gemacht.

Die Experten fordern zudem, die Integration von Einwanderern und ihrer Kinder zu verbessern. Noch immer erhielten Kinder aus gutsituierten Familien drei Mal häufiger eine Empfehlung für das Gymnasium als Kinder aus Einwandererfamilien.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte unterstützte die Kritik aus Straßburg. Das Institut stört sich vor allem am sogenannten Racial Profiling – verdachtsunabhängigen Personenkontrollen, bei denen die Polizei Menschen nach äußeren Merkmalen wie der Hautfarbe auswählt. „Wir begrüßen die Empfehlung der Kommission, polizeiliche Maßnahmen wie Kontrollen und Durchsuchungen von Menschen immer an einen konkreten Verdacht zu knüpfen“, sagte Direktorin Beate Rudolf. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, resümierte knapp: „In Deutschland gibt es noch erheblichen Nachholbedarf, um Opfer von Diskriminierungen besser zu schützen.“ DANIEL BAX