Leben in der Warteschleife: „Die beste Zeit ist dahin“

Mehrere Verfahren und Anwälte, keine Arbeitserlaubnis: Basim Ahmadi* wartet seit 14 Jahren auf die Bewilligung seines Asylantrags. Er wurde krank darüber und sucht Gründe: ob es Mangel an Geld, an Kontakten war. Geschichte einer verlorenen Zeit.

Es ist ein Blick ins Ungewisse: Für Basim Ahmadi ist ein Ende des Wartens nicht in Sicht. Bild: dpa

Es ist ein stiller, freundlicher Mann, der zum Gespräch kommt, auf die Minute pünktlich, obwohl das Haus schwierig zu finden ist. Er hat sehr wenig Geld zur Verfügung, aber Fahrtgeld möchte Basim Ahmadi nicht annehmen. Seine Geschichte erzählt der 41-Jährige in in der Hoffnung, dass andere daraus lernen und nicht wie er Jahre seines Lebens über die Bewilligung ihres Asylantrags verlieren. Es gibt so gut wie kein Licht für ihn in diesem Dunkel vertaner Jahre. Nur als Ahmadi von seiner Zeit im Wiener Gefängnis erzählt, belebt er sich: als er sich daran erinnert, wie er für die anderen Häftlinge kochte, obwohl er gar keine Erfahrung als Koch hatte. Aber das ist Vergangenheit. Das Warten, sagt Basim Ahmadi, habe sein Leben zerstört

Ich bin einen Fuß hoch und einen runter – das ist eine Redensart auf Persisch. Das ist das Warten. Ich habe Leute gesehen, die haben drei Monate nachdem sie nach Deutschland gekommen sind, ihre Papiere gekriegt. Ich weiß nicht, warum bei mir so ein Scheiß passiert ist. Meine Jugend ist kaputt, durch dieses Warten auf die Aufenthaltserlaubnis. Die beste Zeit meines Lebens dahin. Sie vergeht einerseits schnell: Man wird alt über das Warten, ohne dass man etwas erreicht. Und andererseits, so wie die Behörden arbeiten, muss ich lange auf Antwort warten, zwei, vier, fünf Jahre, da vergeht die Zeit sehr langsam.

Im Iran habe ich einen Laden gehabt, für Spielzeug, ausländische Luxussachen. Eines Tages bin ich mit zwei Leuten in die Türkei gefahren und habe von dort CDs und Fotos von Musikern in den Iran geschmuggelt. Man hat mich festgenommen, dann habe ich eine Strafe von ungefähr drei, viertausend Euro zahlen müssen. Deshalb hatte ich Schulden und die Mullahs haben meine Ware verbrannt. Ich bin mit Schleppern hierher gekommen, es hat ein Jahr gedauert. Dann war ich im Zug, in München, und die Polizei hat mich kontrolliert. „Pass“, haben sie gesagt, ich hatte keinen und habe die Fahrkarte von Wien gezeigt. Da haben sie mich festgenommen.

Wegen der Fahrkarte haben sie mich nach Österreich geschickt, da war ich vier, fünf Monate im Gefängnis in Einzelhaft. Die Polizei hat mich gefragt: „Kochst du?“ Da habe ich gesagt: „Gut, mache ich.“ Dann war ich ihr Koch. Meine Zellentür stand offen, ich durfte gehen, wohin ich wollte und habe ein bisschen Deutsch gelernt. Nachher haben die Polizisten zu mir gesagt: Wir wissen, deine Familie ist in Deutschland – wir setzen ein Schreiben für dich auf, dann bleibst du nicht im Gefängnis.

Ende 1999 bin ich nach Deutschland gekommen. Aber ich habe nicht gewusst, wie das hier läuft. Und mein Vater auch nicht. Er lebt schon seit über zehn Jahren hier, er hat einen Laden gehabt, eine Schneiderei. Aber er hatte keine Ahnung vom Asyl. Als ich mir beim Bundesamt einen Anwalt nehmen sollte, hat mein Vater die Visitenkarte von seinem Nachbarn genommen, der Geschäftsmann war, damit ist er zum Ausländerbüro gegangen und hat gesagt: Das ist der Anwalt.

Monate später habe ich das alles verstanden, dann habe ich einen persischen Anwalt gesucht, von dem die Leute gesagt haben: Der ist gut. Acht, neun Jahre lang habe ich diesen Anwalt bezahlt, ich habe ihm zwei-, dreitausend Euro gegeben. Er hat nichts getan, einmal hat er bei meiner Verhandlung vor Gericht geschlafen. Weil mein Asylantrag immer abgelehnt wurde, hat der Staat meine Leistungen von 200 auf 168 Euro gekürzt. Ich habe schließlich Post von der Behörde bekommen, da hieß es: Deine Akte ist zu. Der Anwalt hatte vergessen, Einspruch zu erheben. Er sagte: Ich mache einen neuen Antrag, eine neue Akte auf. Ich habe nicht gewusst, dass dann das alte Visum und die Arbeitserlaubnis weg sind.

Davor durfte ich zwei Stunden pro Tag arbeiten. Erst war ich Küchenhilfe, dann Koch und dann habe ich als Fahrer bei einem Lieferservice gearbeitet. Die Arbeit hat mir Freude gemacht. So habe ich es geschafft, meinen Führerschein zu machen. Und plötzlich war alles weg. Zurück auf null.

Dann habe ich mir einen deutschen Anwalt gesucht. Der meinte: „Wenn du mir 5.000 Euro gibst, kriegst du in sechs Monaten oder höchstens einem Jahr deine Papiere.“ Ich habe dreihundert Euro bar bezahlt und gesagt: Ist gut, ich versuche das. Aber dann kam meine Leistungskürzung und ich konnte diesen Anwalt nicht bezahlen. Ich war mit den Nerven total am Ende. Ich habe alles hingeworfen, egal ob sie mich zurückschickten oder ins Gefängnis. Ich bin dann zum Arzt gegangen, wegen Depressionen und Angst. Es ist eine Angst vor dem Leben.

Jetzt bekomme ich Medikamente und gehe alle zwei Wochen zur Therapie. Die Therapeutin sagt: Wir müssen erstmal deine praktischen Probleme regeln, durch diesen Visumsmist geht gar nichts. Seitdem ich bei der Therapeutin bin, bin ich etwas ruhiger. Sie hat mir sehr geholfen, hat mir geholfen, dass ich meine Therapie, die mir so gut tut, fortsetzen kann.

Ich muss warten, warten und Medikamente nehmen. Ich habe keine andere Wahl. Was soll ich machen, zurück kann ich nicht. Ich bin jetzt schon vierzehn Jahre in diesem Holzheim, dieses Heim, wissen Sie, das mit Holz verkleidet ist. Ich hab so viele Jahre versucht, eine Wohnung zu bekommen. Nach so vielen Jahren habe ich doch ein Recht auf eine Wohnung? Aber nein, so lange Sie keinen Aufenthalt bekommen, kriegen Sie auch keine Wohnung.

Bei meinem Vater kann ich nicht leben, das ist ein alter Mann. Wenn ich einen Tag da bin, gibt es am zweiten Ärger. Deswegen übernachte ich jetzt bei Bekannten, eine Woche hier, eine Woche da. Manchmal gehe ich dann drei, vier Tage nicht aus dem Haus, ich will keine Leute treffen, die dann fragen, wie es mit meinem Antrag läuft. Ich mache gar nichts, sehe mir im Internet persische Seiten an, manchmal ruft mein Vater an, fragt, ob ich ihm helfen kann.

Im Heim kann ich nicht sein. Man ist dort zu zweit im Zimmer, es gibt nichts Privates. Ich wollte keinen Ärger machen, ich habe mit dem Arzt geredet, mit dem Gesundheitsamt, die haben geschrieben, ich bräuchte aus ärztlicher Sicht ein Einzelzimmer – aber ich habe es bis jetzt nicht geschafft. Nach vierzehn Jahren!

2011 hat Herr Kaufmann von Fluchtpunkt, das ist eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge, einen Wiederaufgreifensantrag für mich gestellt. 2013 wurde der abgelehnt. Ich weiß nicht, was die Leute in der Behörde tun – ich musste zwei Jahre auf eine Entscheidung warten – und nach zwei Jahren sagte mir diese Behörde, dass noch etwas gefehlt habe.

Warum haben sie dies nicht vorher gesagt? Herr Kaufmann hatte oft an das zuständige Bundesamt geschrieben, er hat immer gesagt: Warten wir bis zum nächsten Monat, denn es wurden noch neue Atteste vorgelegt, die sich die Behörde ansehen musste. Er sagte mir auch, dass man nach einer Ablehnung Klage erheben müsse und das Gericht häufig nicht vor Ablauf eines Jahres einen Termin zur mündlichen Verhandlung macht. Also hieß es wieder abwarten, abwarten. Es ist immer wieder dieses Abwarten.

Ich bin über das Warten krank geworden. Man denkt da viel nach. Andere, die mit mir gekommen sind, haben inzwischen einen Laden aufgemacht, eine Firma aufgebaut, sie haben ein Haus, Kinder. Und was habe ich? Nichts, gar nichts! Und warum? Das weiß ich selbst nicht. Nur weil ich kein Geld gehabt habe? Und keine Leute an meiner Seite, die mir sagen, was man tun muss.

Wenn du arm bist, hast du hier einfach keine Chance. Es sei denn, du bist ein Hans-im-Glück. Manchmal telefoniere ich mit Bekannten im Iran. Dann sage ich: Es geht mir gut. Ja, da muss ich lügen. Aber sie sind weit weg. Ich war ein fröhlicher Mensch im Iran. Ich habe viel gelacht, viel Spaß gehabt. In Deutschland habe ich schon lange nicht mehr gelacht.

Jetzt gibt es einen Prozess gegen das Bundesamt. Die Therapeutin sagt: „Du musst aktiv sein.“ Man muss kämpfen. Ich habe keine Wahl. Zumindest die Kürzung der Sozialhilfe wurde mit Hilfe von Fluchtpunkt aufgehoben. Aber was helfen am Ende die Papiere, wenn ich darüber alt werde? Ich weiß nicht, wie viele Leute es in Deutschland gibt wie mich. Viele?

* Name geändert

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Warten. Erkundungen eines ungeliebten Zustands“ von Friederike Gräff, das im Ch.Links Verlag erschienen ist.
Am 18. 3., 19.30 Uhr stellt sie es im taz Salon im Kulturhaus 73 in Hamburg vor.
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