„Narzisstischer Triumph“

VORTRAG Gerhard Vinnai erörtert die Sozialpsychologie des islamistischen Terrors

■ 74, war bis 2005 Professor für analytische Sozialpsychologie an der Universität Bremen. Er hat Soziologie und Psychologie in Frankfurt studiert.

taz: Herr Vinnai, wie beschädigt muss man sein, um sich den IS-Terroristen anzuschließen?

Gerhard Vinnai: Es müssen viele soziale Krisen hinten den Menschen liegen. Sie müssen sich diskriminiert fühlen und Schwierigkeiten mit sich selbst haben. Besonders, wenn man sich selbst durch ein Selbstmordattentat aufwerten will.

Nach einem besseren Leben zu streben, indem man das eigene beendet – wie ist das zu erklären?

Nach Sigmund Freud ist uns das Unheimliche immer heimlich vertraut. Alle in unserer Kultur haben irgendwelche Selbstmord-Impulse, es gibt viel Selbstzerstörung. Das will man aber nicht wahrhaben. Der Selbstmordattentäter bringt das offen zum Ausdruck, das erschreckt. Bei den Islamisten gibt es die religiös begründete Fantasie, durch die Tat ins Paradies zu gelangen. Ein Selbstmordattentat ist in gewisser Art ein narzisstischer Triumph, weltweit für Schrecken gesorgt zu haben. Dem gehen Erfahrungen der Ohnmacht voraus, dass man austauschbar ist, dass niemand auf einen achtet.

Das klingt wie ein Entschuldigung, weil jemand „eine schwere Kindheit“ hatte…

Verstehen heißt nicht entschuldigen. Der Versuch, sich in die Personen hineinzuversetzen, ist eine Voraussetzung dafür, andere Verhältnisse zu schaffen. Sie nur zu verteufeln, wäre politisch problematisch.

US-Präsident Obama etwa sprach im Zusammenhang mit dem jüngsten Köpfungs-Video vom „reinen Bösen“ – ist das falsch?

Es ist sehr böse. Aber wenn man die Islamisten zum „reinen Bösen“ erklärt, kann man sie nur vernichten. Sie sind nicht als Terroristen auf die Welt gekommen. Wenn man das nicht versteht, produziert man womöglich nur noch mehr Kränkungen, Rache und Terror.

Wie würden Sie ansetzen?

Man muss überlegen, wie man Menschen aus dem mörderischen Vernichtungswillen heraus bringen kann, welche Erfahrungen sie machen müssen, damit sie friedfertiger sein können.

Würden Sie auch von einer „neuen Qualität“ der Gewalt sprechen?

Der Krieg der deutschen Armee gegen die Sowjetunion war mindestens so gewalttätig. Die Conquistadores in Amerika haben ihre Gegner kastriert und die Hodensäcke als Tabakbeutel benutzt – wenn das Tötungstabu aufgehoben wird, sind Kriege immer schrecklicher, als man glaubt. Neu ist die mediale Inszenierung. Es ist attraktiv, der Welt zu zeigen: Ich kann mit dem anderen machen, was ich will. Das ist das Perverse.  Interview: jpb

20 Uhr, Villa Ichon