Sonderermittler Montag rügt den Verfassungsschutz

NSU Der Umgang mit Material des V-Manns „Corelli“ war laut Geheimbericht „grob regelwidrig“

BERLIN taz | Die Geheimdienstexperten im Bundestag tun sich schwer mit dem 300 Seiten starken Bericht des Sonderermittlers Jerzy Montag zum toten Verfassungsschutz-Spitzel Thomas R. (Deckname „Corelli“): Eine angekündigte Pressekonferenz wurde gestern kurzfristig wieder abgesagt. Als Grund gelten Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Das Gremium verschickte stattdessen eine dürre Mitteilung zu dem, was der ehemalige Grünen-Politiker Jerzy Montag bei seinen monatelangen Recherchen im Bundesamt für Verfassungsschutz über das Leben und Sterben der hochdotierten Topquelle zusammengetragen hat. Eine öffentliche Fassung des Berichts solle „zeitnah“ folgen.

In ihrer knappen Erklärung bestätigen die Geheimdienst-Kontrolleure: Mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sei Thomas R. im Frühjahr 2014 eines natürlichen Todes gestorben – an einem Diabetes-Schock. Der Sonderermittler habe auch keine neuen Hinweise im Verfassungsschutzarchiv gefunden, dass „Corelli“ noch engere Beziehungen zum NSU-Trio hatte als ohnehin schon bekannt.

Allerdings gewährt der „Corelli“-Bericht wohl Einblicke in die bizarre Beziehung des bestens in der Neonazi-Szene vernetzten Spitzels zu seinen treuen Geldgebern vom Verfassungsschutz. „Corelli“ habe zwar „quantitativ“ viel Material geliefert, zitiert der WDR aus dem Bericht. Allerdings sei es kaum ausgewertet worden – obwohl der Verfassungsschutz über die Jahre knapp 300.000 Euro in die Quelle „Corelli“ gepumpt habe. Im vergangenen Herbst war aufgeflogen: Der V-Mann hatte dem Verfassungsschutz schon 2005 eine CD mit Hinweisen auf einen „NSU/NSDAP“ überreicht – sechs Jahre vor dem Auffliegen des NSU-Trios. Diese CD wurde laut Montag „grob regelwidrig“ behandelt. Erst das BKA habe sie im Verfassungsschutz-Archiv entdeckt. Hätte der Verfassungsschutz die CD korrekt ausgewertet, wäre schon „2005 bekannt geworden, dass eine sich Nationalsozialistischer Untergrund nennende Gruppe eine rechtsextremistische und neonazistische Propaganda-CD hergestellt und zur Verbreitung angeboten hat“.

Für Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, Ex-Obfrau der Linksfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, ist auch nach der Lektüre des Berichts „völlig offen“, wie nah „Corelli“ dem Netzwerk der NSU-Unterstützer wirklich stand. Die Mitglieder des Kontrollgremiums schwiegen gestern in der Öffentlichkeit zu dem „Corelli“-Bericht. ASTRID GEISLER