Revolution ist Mode, Kommunismus nicht

MARX, LENIN UND CHE GUEVARA Russlands Jugend vermisst den Elan der früheren Revolutionäre. Zurück zum untergegangenen Sowjetsystem will die „verlorene Generation“ aber ganz bestimmt nicht

VON ALEKSANDRA POBLINKOWA

In Europa wird gerade viel über den 20. Jahrestag des Zusammenbruchs der Sowjetunion und den Fall der Berliner Mauer gesprochen. In Russland gedenken nur wenige dieses Datums. Dieses identifizieren wohl nicht viele mit den Protestaktionen, die überall stattfinden. Ehrlich gesagt, wir haben offensichtlich nichts zu diesem Datum zu sagen – wir haben es geschafft, den Kommunismus hinter uns zu lassen, nicht aber eine Demokratie zu werden. Wir werden „eine verlorene Generation“ genannt.

Eigentlich haben wir keinen besonderen Anlass, diesen sowjetischen Zeiten und der sowjetischen Macht nachzutrauern. Wohl auch deshalb nicht, weil das Schlimmste während dieser Periode – sieht man einmal von der Produktionskrise ab – uns bis heute erhalten geblieben ist. Der hohe und unangreifbare Status der Staatsbediensteten und ein Luxus, der nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung erreichbar ist, eine einzige Regierungspartei, loyale und unfreie Zeitungen und sogar der Komsomol.

Andererseits beneiden wir – die jungen Russen des 21. Jahrhunderts – aufrichtig die Revolutionäre der 20er Jahre. Ihnen gelang es, sich zu erheben, zu von Deutschland und Großbritannien bezahlten Gewehren zu greifen, die zaristische Macht zu stürzen und mit dem Aufbau einer Zukunft gemäß des Vermächtnisses von Karl Marx zu beginnen. Vor allem deswegen tragen wir seit einigen Jahren so gerne rote T-Shirts mit Lenin, Che Guevara sowie Hammer und Sichel. Und so wie unsere Eltern 70 Jahre lang versucht haben, den Kommunismus aufzubauen, so versuchen wir schon seit 20 Jahren, eine Demokratie und eine Zivilgesellschaft zu errichten. Uns gefällt es, in unseren Küchen bei einer Flasche nichtrevolutionären Rums zu sitzen und uns darüber lustig zu machen, dass Putin ein neuer Stalin ist und bald die Repression der 30er Jahre wiederkommt. Bei der Jugend ist die Revolution in Mode, nicht der Kommunismus, in Mode sind auch die Politik, nicht aber der Bürgerkrieg. Im Laufe von 90 Jahren haben wir verlernt, wie man eine Revolution macht. In den vergangenen 20 Jahren haben wir es nicht geschafft, eine Zivilgesellschaft aufzubauen, obwohl die Technologien viel vollkommener geworden sind. Jetzt organisiert die Opposition Kundgebungen mithilfe sozialer Netze, jedoch fehlt den Revolutionären der neuen Zeit ein eindeutiger Führer. So einer wie Lenin, der seinerzeit seine alle bewegenden Ideen von einem Panzerwagen verkündete, was alle im Radio mitverfolgen konnten. Wir stimmen nach dem Prinzip „Egal was, aber nur nicht …“ und leben immer noch in unserer zwischen UdSSR und Russland verlorenen Generation.

■ Aleksandra Poblinkowa ist 23 und arbeitet als Journalistin bei der Oblastnaja Gazeta in Irkutsk