Lebensretter mit feinen Nasen

Eine belgische Organisation bildet Ratten für die Minensuche aus. Die ersten haben kürzlich die UNO-Zulassungstests bestanden und sind jetzt in Mosambik im Einsatz. Etwa 20.000 Menschen werden jedes Jahr Opfer von Minen

Ratten haben einen großen Vorteil: Sie sind billiger als Hunde und fressen weniger

VON ISABEL GUZMÁN

Ronaldo ist von Natur aus ein nachtaktives Tier. Doch die Aussicht auf die Banane, die als Belohnung wartet, hat ihn seine Gewohnheiten ändern lassen. Schnüffelnd rennt das Rattenmännchen an einem glitzernden Drahtseil entlang, schiebt seine zitternde Schnauze unter die Grasbüschel. Lehmstaub setzt sich in sein braunes Fell. Ronaldos Mission ist nicht einfach: Er sucht nach überwucherten Landminen.

„Wir haben ihn monatelang trainiert“, sagt Bart Weetjens. „Auch Gefahren wie kreisende Vögel dürfen ihn nicht ablenken.“ Gebannt blickt der 39-jährige Belgier auf das Video mit Ronaldo, das er mitgebracht hat, um potenzielle Geldgeber zu beeindrucken. In diesen Monaten scheint sich für ihn ein Traum zu erfüllen. 17 von ihm ausgebildete Ratten haben die UN-Zulassungstests für Minensuchtiere bestanden. Jetzt haben sie ihre Arbeit in Minengebieten im afrikanischen Mosambik begonnen.

Weetjens ist Gründer und Kodirektor der belgischen Organisation Apopo, einer Gruppe, die in ihrer Anfangszeit Ende der 90er mehr als einmal Kopfschütteln geerntet hat. Die Idee, eine wild lebende Rattenart mit extrem feinem Geruchssinn – Afrikanische Riesenhamsterratten – für die Minensuche zu zähmen, schien einigen Gesprächspartnern zunächst absurd. Als so genannte Biosensoren wurden damals ausschließlich Hunde verwendet.

„Absurd?“, fragt Weetjens und zeigt auf das Video, auf dem Ronaldo sich in zehn Minuten 30 Quadratmeter vorangearbeitet hat, noch ohne Minenalarm zu geben. „Ratten haben einen großen Vorteil: Sie sind billiger als Hunde!“ Sie fressen weniger, vermehren sich schneller, sind einfacher zu halten und zu transportieren.

Auch gegenüber maschinellen Techniken gebe es Vorteile, betont Weetjens. Denn künstliche Minendetektoren reagieren auf Metall, nicht auf Sprengstoff. Bei jedem Stück Schrott lösen sie kostspieligen Alarm aus. Ronaldos glatte, zuckende Nase registriert dagegen das TNT, das in den Minen enthalten ist – in der unvorstellbaren Verdünnung von zehn Femtogramm pro Liter Luft. „Herkömmliche Methoden können wir nicht ersetzen, aber mit Sicherheit ergänzen“, meint der Aktivist.

Behutsam ziehen die Trainer, die in minensicheren Rinnen stehen, die Ratte an einer Leine zwischen sich hin und her. So läuft das Nagetier jedes Fleckchen Erde in dem kritischen Areal ab. Erde, die seit langem kein Mensch zu betreten wagt. In Mosambik und anderen Krisenregionen liegen geschätzt hundert Millionen Antipersonenminen. Etwa 20.000 Menschen werden jedes Jahr durch sie getötet oder verletzt.

Schließlich schaffte es Apopo, eine Reihe von Geldgebern von ihrer Arbeit zu überzeugen. Zur belgischen Regierung gesellten sich unter anderem die Europäische Union, die Weltbank, die US-Armee. Doch der Spielraum ist noch sehr begrenzt. Das bisher Erreichte ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein: 38 Kilometer Straße und Böschungen sowie einige kleine Felder in Mosambik hat Apopo bislang für minenfrei erklärt.

Stück für Stück will Weetjens die Aktivitäten ausbauen. Er blickt auf sein Video, auf dem Ronaldo in Aufregung geraten ist. Die Ratte springt herum, macht Männchen und scharrt immer wieder wild im Lehm. Mit äußerster Vorsicht nähert sich ein Minenexperte und legt mit einem Spaten eine rostige, handtellergroße Landmine frei. „Sehen Sie jetzt, wieso Ratten diese Arbeit machen sollten?“, ruft Weetjens den Zuschauern zu. „Sie wiegen maximal 1,5 Kilogramm.“ Damit sei es so gut wie unmöglich, dass die Tiere selbst die Mine auslösen. EPD